Christliche und muslimische Theologen in Stuttgart-Hohenheim fordern selbstkritischen Umgang mit problematischen Aspekten der jeweiligen Missionsgeschichte
Stuttgart (ars). Christen und Muslime sehen sich gleichermaßen mit der Schwierigkeit konfrontiert, einerseits die Botschaft ihres jeweiligen Glaubens zu verbreiten und andererseits das unhintergehbare Recht auf freie Religionsausübung anzuerkennen und auch theologisch zu legitimieren. Fazit der Tagung „Zeugnis, Einladung, Bekehrung – Mission in Christentum und Islam“ vom 5. bis 7. März 2010 an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart: „Zeugnis geben ja – aktive Missionierung nein“.
Drei Tage diskutierten über 140 christliche und islamische Theologen aus zehn verschiedenen Ländern über die Praxis von Mission im Christentum bzw. über den „Ruf“ (da’wa) im Islam. In beiden Religionen haben sich mittlerweile theologische Ansätze herausgebildet, die den Eigenwert des anderen Bekenntnisses als Bereicherung wertschätzen können, ohne die eigene religiöse Wahrheit zu relativieren, hieß es. „Heute religiös sein, heißt interreligiös sein“ – so formulierte es der Jesuit und Islamwissenschaftler Christian Troll. Bekehrungen könnten allenfalls durch Gott, nicht durch menschliche Anstrengungen oder Strategien zustande kommen.
Die Baseler Missionswissenschaftlerin Christine Lienemann-Perrin forderte eine kontextabhängige Beurteilung von Glaubensbezeugungen. Sowohl Christen als auch Muslime sollten durchaus mit Freude ihren Glauben bekennen. Gewaltsame Bekehrungsversuche, auch solche ‚nur’ mit psychischer Gewalt, seien grundsätzlich abzulehnen. Ömer Özsoy vom „Institut für Studien der Kultur und Religion des Islam“ der Universität Frankfurt sprach sich für ein universales, stark ethisch geprägtes Verständnis von Islam aus, welches nicht auf Missionierung angewiesen sei.
Der islamische Theologe und Christentumsexperte Ataullah Siddiqui aus Leices-ter/Großbritannien forderte eine Anerkennung des Anderen „mit vollem Respekt“. Es müsse endlich ein Ende nehmen mit allem Denken und Sprechen in der Form eines ‚Wir’ und ‚Die anderen’. Letztlich sollten Muslime und Christen eine Praxis des ‚Co-Witnessing’, einer gemeinsamen Bezeugung ihres jeweiligen Gottesglaubens im säkular geprägten Europa, einüben. Voraussetzung dafür sei auch, dass Muslime Christen als Christen verstehen.
Unbeantwortet blieb die Frage der islamischen Theologin Hamideh Mohagheghi, ob nicht viele insgeheim doch die Bekehrung des je Anderen zum eigenen Glauben erhofften; nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, dass aktuell verschiedene christliche und muslimische Gruppierungen mit zweifelhaften Mitteln Missionierung betreiben. Gemeinsam forderten die muslimischen und christlichen Theologen daher zu einem selbstkritischen Umgang der Glaubensgemeinschaften mit diesen Phänomenen und problematischen Aspekten der jeweiligen Missionsgeschichte auf.
Die Vorträge und Ergebnisse der Tagung werden wiederum in der Buchreihe „Theologische Forum Christentum – Islam“ im Verlag Friedrich Pustet veröffentlicht, in der bereits fünf Bände erschienen sind.
Info: Das vom Bundesministerium des Innern geförderte „Theologische Forum Christentum – Islam“ ist ein seit 2003 bestehendes Netzwerk christlicher und muslimischer Theologen, das einen Beitrag zur Verständigung zwischen beiden Religionen sowie zur Herausbildung einer in Deutschland verankerten islamischen Theologie leisten möchte.