Auf den Jahrestagungen des Theologischen Forums Christentum – Islam wurden seit 2003 eine Vielzahl an Themen bearbeitet. Nach zwei stärker innerchristlichen Sondierungen beschäftigten sich die ersten zehn dialogischen Jahrestagungen mit interreligiös-theologischen Fragebereichen wie Gottesbildern, Schriftverständnis, Gebet oder Glaubenspraxis in Christentum und Islam. Im Anschluss wurden stärker sozialethische und gesellschaftspolitische Themen kooperativ im Lichte des christlich-islamischen Dialogs bearbeitet, die für beide Religionen drängend und herausfordernd sind, wie Armut und Gerechtigkeit, Migration und Flucht, Gender oder (Rechts-)Populismus.
Die gemeinsame Arbeit im Forum verfolgt die vielfältigen Verbindungen zwischen theologischen Überlegungen und den Auswirkungen für die Gesellschaft und Individuen. Auch wenn diese Blickrichtungen oftmals zusammengehen, lassen sich folgende drei größere Themengebiete ausmachen:
- Die Herausforderungen, den Glauben zu denken, schließen Fragen nach den Gottesvorstellungen und der Glaubenspraxis ein und auch danach, was es überhaupt bedeutet, interreligiöse Beziehungen zu verfolgen.
- Eine solche Reflexion des Glaubens beinhaltet zweitens immer schon einen Blick auf den Menschen und sucht danach, den Menschen zu verstehen.
- Schließlich geht es um Praxis- und Kontextfragen und eine Betrachtung der die Gesellschaft mitgestaltenden Impulse aus Christentum und Islam.
Glauben denken
Das Theologische Forum Christentum – Islam ist ein Ort, an dem der Glaube von Christ*innen und Muslim*innen auf verbindende Fragestellungen hin bedacht wird. Das schließt ein kooperatives Vorgehen ebenso ein wie oftmals auch ein kritisches Nachdenken über das eigene Glaubensverständnis. Unterschiedliche Praxisfelder werden zu Orten, die das theologische Nachdenken und die Glaubenspraxis herausfordern und voranbringen.
Spezifikum des Forums ist, dass es sich um eine interreligiöse Reflexion handelt – nicht einfach ein Nebeneinander von Informationen über die (vermeintlich) nur eigenen Hintergründe, sondern ein gemeinsames Nachdenken, Zurück- und Weiterfragen. Dadurch wird immer wieder die Frage aufgeworfen, wie sich eine solche Art des Nachdenkens von einer je eigenen Reflexion des Glaubens unterscheidet und diese bereichert.
Da sich beide Religionen zentral auf heilige Texte und autoritative Traditionen beziehen, kehrt die Frage wieder, wie diese grundsätzlich und auf unterschiedliche Fragestellungen hin angemessen verstanden und behandelt werden können. Wie prägen die Texte und der Umgang mit ihnen das Gottesbild, die Spiritualität und Lebenspraxis? Auch Fragen nach der Konsistenz entsprechender Antworten und den Implikationen für den Blick auf Welt und Gesellschaft sowie den Menschen bilden gemeinsame Herausforderungen. Gleiches gilt für das Nachdenken über die Sozial- und Vergesellschaftungsformen des Glaubens (Glaubensgemeinschaft, Kirche, Umma).
Menschen verstehen
Christentum und Islam kultivieren eine besondere Sensibilität für die Unergründlichkeit und Unverfügbarkeit des Menschen. Gleichwohl geht es ihnen darum, den Menschen und seine Stellung in Welt und Gesellschaft zu verstehen und zu deuten, worin bestimmte Menschenbilder zum Ausdruck kommen. Dazu gehört auch, den Menschen als leiblich verfasstes Wesen ernst zu nehmen und bestimmte mit Leiblichkeit, Sexualität und Genderrollen verbundene Vorstellungen kritisch zu beleuchten. Die Einsicht in die Grenzen menschlichen Begreifens bedeutet zugleich ein Wissen auch um die eigene Unergründlichkeit und kann somit vor Reduktionen des Menschseins bewahren helfen.
Diese ganzheitliche Perspektive zeigt sich auch darin, dass Leid und Sterben in der christlichen und muslimischen Betrachtung des Menschen nicht ausgespart bleiben, doch zugleich in eine Hoffnungsperspektive eingebunden sind. Menschen gerade in schwierigen Situationen zu begleiten und zu unterstützen, ist der Anspruch von Seelsorge. Deren Grundlagen, Aufgaben und Herausforderungen werden in den Themenbearbeitungen des Theologischen Forums Christentum – Islam ebenso reflektiert wie Fragestellungen in den Praxisfeldern der Bildung: Das Verständnis des eigenen Selbst und dessen Bezüge zur sozialen, kulturellen und natürlichen Umwelt zu fördern, ist ein Anspruch von Bildung verschiedener Art. Dabei rücken besonders (inter-)religiöse Bildung und Religionsdidaktik ebenso wie z.B. Gestaltungsfragen des Religionsunterrichts und religionspolitische Klärungen ins Interesse des Forums.
Die Frage nach dem, was gut bzw. richtig ist und unter welchen normativen Rahmenbedingungen menschliches Leben glückt und Zusammenleben gelingt, verbindet die Fragen nach dem Menschsein mit Fragen der Gesellschaftsgestaltung. Dabei sind beispielsweise das Verhältnis religiös konturierter Deutungen zu politisch-rechtlichen Konzepten wie insbesondere den Menschenrechten auch interreligiös von hoher Bedeutung und Aktualität.
Gesellschaft gestalten
Christentum und Islam als Religionen zu verstehen, die die Gesellschaft konstruktiv und aktiv mitgestalten, ist der Anspruch des Theologischen Forums Christentum – Islam. Wie kann ein gutes Zusammenleben in religiöser und kultureller Vielfalt erreicht werden?
Dazu gehört auch der Umgang mit Kritik an der eigenen Überzeugung. Dabei richtet sich die Kritik an Religionen nicht nur auf (vermeintliche) Inkonsistenzen der Glaubensdeutung, sondern immer wieder auch auf bestimmte Machtverhältnisse und Formen der Machtausübung innerhalb der Religionen. Christentum und Islam bringen aber auch selbst machtkritische Perspektiven ein, nicht nur in Bezug auf die eigenen Institutionen, sondern auch gegenüber Herrschaftsformen und diskriminierenden Strukturen in Gesellschaften bzw. Staaten.
Auch unter anderen Hinsichten ist das Verhältnis der Religionen zum säkularen und religionspluralen Staat und zu säkularen Selbstverständnissen zu bedenken: Inwiefern bestehen Gegensätze oder vielmehr Verbindungen zwischen Religion und Säkularität? Inwiefern bilden die Erzählungen davon Herrschaftsdiskurse? Welche Bedeutung kommt Religion in Gestaltungsfeldern von Gesellschaft und Politik zu, z.B. in Bildungskontexten, im Öffentlichen Raum oder in religionspolitischen und religionsrechtlichen Aushandlungen?
Gleichzeitig haben Religionen nach innen eine Verhältnisbestimmung vorzunehmen, wie sich der Auftrag der Weltgestaltung zu anderen Vollzügen des Glaubens verhält und welchen Stellenwert ein entsprechendes Engagement einnimmt. Das gilt umso mehr für drängende Fragen wie in Feldern von Nachhaltigkeit und Umweltethik. Ein weiteres Themenfeld, in welchem die theologischen Ethiken und religiösen Akteur*innen mit Fragen sozialer und globaler Gerechtigkeit zu tun haben, ist Migration und Flucht: Diese gehören schon in den formativen Phasen beider Religionsgemeinschaften zu zentralen Herausforderungen, die in Christentum und bedacht werden und in der Praxis bearbeitet werden.
Gesellschaft zu gestalten bedeutet immer auch ein Austausch mit anderen Wissenschaften und verschiedenen Bereichen der Gesellschaft. Religion ist umso wirksamer, Theologie umso öffentlich relevanter, je eher sie sich auf andere Akteur*innen und Felder hin öffnet.