Zwischen den großen monotheistischen Religionen gibt es mehr Verflechtungen, als man denkt. Ein Forschungskolloquium hat gezeigt: das hat Konsequenzen für aktuelle Herausforderungen.
Die Religionsgeschichte der großen monotheistischen Religionen ist eine eng verflochtene: „Jede der drei sich auf je ihre Weise auf Abraham zurückführenden Religionen [geht] den beiden anderen ebenso voraus, wie sie sich als Antwort auf die jeweils beiden anderen erweist und [lässt] damit zugleich die Frage aufkommen […], ob Christentum, Islam und Judentum so geworden wären, wie sie geworden sind, wenn es die jeweils beiden anderen nicht gegeben hätte.“ (Stefan Schreiner). In der gegenwärtigen Forschungslandschaft werden solche Verflechtungen in vielfältiger Weise behandelt, sowohl im Blick auf historische wie zeitgenössische Konstellationen. Diese in den Blick zu nehmen und zu fragen, welche Anstöße das für die Theologien bietet, war der gemeinsame Bezugspunkt des Forschungskolloquium des Theologischen Forums Christentum – Islam. Unter dem Titel „Verflechtungen“ fand es am 5. und 6. März 2021 als Online-Format statt. Am traditionellen Termin der Jahrestagung des Theologischen Forums, die aufgrund der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben werden musste, sollte ein Ort des Austauschs über den „state of the art“ von Forschungen zur Verflochtenheit der Religionskulturen geboten werden, sowie für die aktuellen Arbeits- und Forschungsprojekte aus dem vielfältigen Netzwerk.
Drei Einblicke in aktuelle Forschungsansätze gaben am ersten Veranstaltungstag Professorin Dr. Gritt Klinkhammer (Universität Bremen), Juniorprofessorin Dr. Muna Tatari (Universität Paderborn) und Seniorprofessor Dr. Stefan Schreiner (Universität Tübingen).
Gritt Klinkhammer lotete das Thema unter dem Blickpunkt religiöser Pluralität aus. Sie forscht zum Einfluss der Wahrnehmung religiöser Vielfalt auf die religiöse Einstellung, die religiöse Praxis und das religionsbezogene Zugehörigkeitsverständnis von Individuen. Zu welchen Anlässen wird religiöse Pluralität lebensweltlich relevant, wie wird sie wahrgenommen und verarbeitet? Als Forschungsdesiderate stellte sie Begegnungen mit religiöser Pluralität in lokalen Netzen vor, etwa in Freundschaft, Nachbarschaft oder in zufälligen medialen Begegnungen.
Ebenfalls an der konkreten Erfahrung der Lebenspraxis des Anderen setzte Muna Tatari an. Sie könne helfen, Abgrenzungen zur Profilierung auf Kosten des Anderen zu vermeiden und stattdessen eine begründbare Würdigung des Anderen in der Differenz zu ermöglichen. Negative Einstellungen gegenüber anderen Religionen fußten oft auf innerreligiösen Konflikten. Hier könne die Analyse der Hintergründe theologiegeschichtlicher Entwicklungen für deren Kontingenz sensibilisieren. So sei Theologie immer auf Interdisziplinarität angewiesen, genauso wie sie bleibend Denken im Prozess sei. Stefan Schreiner schließlich eröffnete einen beeindruckend großen Fächer an Forschungsperspektiven auf die Verflechtungen der monotheistischen Religionen in der Religionsgeschichte: angefangen bei Kriegen und Kulturkontakten über die Genealogie der „abrahamischen“ Religionen und dem gemeinsamen geographischen Ursprung in der Religionsgeographie bis zu den heiligen Schriften Koran und Bibel und zu Katechismen als Zeugnissen interreligiöser Verflechtungen öffnete er einen weiten Raum von Forschungsansätzen. Am zweiten Tag wurden zwölf Forschungsprojekte in drei Sektionen vorgestellt und diskutiert. Vielfältige Projekte waren vertreten: von einem Projekt zum „Einfluss der islamischen Kultur auf die Zivilisation der Goldenen Horde“ in der historischen Sektion über eine Studie zur „Berufseinmündung und Professionalisierung der Absolvent*innen der islamisch-theologischen Studien“ in der religions-/gesellschaftswissenschaftlichen Sektion bis zur Frage „Mohammed – ein Prophet auch für Christen?“ in der systematischen Sektion.
„Keine Religion ist ein Eiland“, wie es Rabbiner Abraham Joshua Heschel formulierte, das wurde hinreichend deutlich und schillernd bunt illustriert. Mit welchen Analyserastern und welchen Begrifflichkeiten dies weiter zu erforschen ist, wurde jedoch lebhaft diskutiert.
Suggeriert der Begriff „Verflechtungen“ nicht einerseits ein unpräzises und je nach Verständnis vielleicht schiefes Bild, ist es andererseits aber vielleicht auch aufgreifbar in Verständnissen, die analytisch hilfreich und für den interdisziplinären und interreligiösen Austausch anregend sind? Die während der Tagung aufgeworfenen Fragen laden zum Weiterdenken und -forschen ein — und zum weiteren interdisziplinären Austausch, wie er auf der 19. Jahrestagung des Theologischen Forums Christentum – Islam am 04.-06. März 2022 stattfinden wird.
Einige Präsentationsfolien finden Sie hier.