Das Herbstkolloquium des Theologischen Forums Christentum – Islam vom 18.-20.11.2022 bot die Möglichkeit, in Anknüpfung an die Jahrestagung im Frühjahr zum Themenkomplex „Rechtspopulismus und Religion“ offene Fragen zu diskutieren und zu vertiefen. Durch eine paritätische Besetzung von christlicher und muslimischer Seite konnten gemeinsame Herausforderungen und jeweils spezifische Problemlagen klar hervortreten. Dabei wurde der Blick insbesondere auf die Praxis gerichtet und danach gefragt, welche Handlungsansätze sich gegen die Gefahren des Rechtspopulismus in der Bildungsarbeit, in Religionsgemeinden und kommunalen Kontexten bewährt haben.
Volkssouveränität oder Vereinnahmung des Volkes
Die Veranstaltung wurde eröffnet mit zwei Impulsvorträgen von Prof. Dr. Anja Middelbeck-Varwick und Prof. Dr. Armina Omerika.
„Die Zunahme von Populismus in den letzten Jahren, teils fluide Übergänge zwischen Rechtspopulismus und Rechtsextremismus sowie die Zunahme von Populismus in Krisenzeiten“ sind laut Middelbeck-Varwick nur einige prägnante Aspekte des Phänomens Populismus. In ihrem Vortrag versuchte sie diese Komplexität an Beobachtungen zusammenzuführen und in ein Verhältnis zu setzen.
Der Umstand, dass der Begriff des Rechtspopulismus als ein negativ besetzter, aber zugleich unpräziser und schillernder Begriff erscheine, erschwere seine Definition. Wenn man sich der Bedeutung vom Wortlaut her nähere, so verweise populus auf den die Demokratie tragenden Gedanken der Volkssouveränität, mache aber gleichzeitig die Gefahr einer Vereinnahmung dieses Volkes für eigene Zwecke bewusst. Eine solche bestehe vor allem dann, wenn das Volk als homogene Einheit behauptet werde, bei der starke Gefühle der Zugehörigkeit einiger mit einer Abgrenzung gegenüber bestimmten Gruppen korrespondierten. Passend zu einer häufig anzutreffenden starken Zentrierung auf eine Führungsperson handele es sich bei populistischen Bewegungen zunächst um lose Bündnisse, die sich auch durch ihre Form von den etablierten Parteien abgrenzten.
Einen zweiten Schwerpunkt legte Middelbeck-Varwick auf die Beleuchtung des Zusammenhangs von Rechtspopulismus und Religion, wobei sie betonte, dass Religionen nicht einfach als Gegenüber von Populismus zu verstehen seien. Vielmehr müsse man sich damit auseinandersetzen, dass religiöse Motive angeeignet würden und Populismus teilweise aus den religiösen Gemeinschaften selbst komme. Aus diesem Grund sei es wichtig, genau auf Übergänge und Scharnierfunktionen zwischen Rechtspopulismus und Religion zu blicken. Neben klaren inhaltlichen Positionierungen gegen den Rechtpopulismus von Seiten kirchlicher Gruppen seien auch immer wieder Wahlverwandtschaften sowie Übernahme und Ausprägung rechtspopulistischer Argumentationen zu beobachten. Middelbeck-Varwick stellte breite interreligiöse Bündnisse, die für Gewaltfreiheit und Geschwisterlichkeit eintreten, als den entscheidenden Weg gegen ausgrenzende Ideologien und Ressentiments dar.
Reduktion auf bestimmte Identitätsmerkmale
Armina Omerika konnte krankheitsbedingt nicht selbst anwesend sein, so dass ihr Text von Inas Kamran-Yilmaz verlesen wurde. „Wenn man über Rechtspopulismus und Religion im Zusammenhang mit dem Islam sprechen möchte, hat man im Prinzip zwei Möglichkeiten, das Themenfeld zu umreißen.“ Zum einen könne man über „rechtspopulistische Parteien und Bewegungen im Osten und im Westen Europas sprechen, die neben einer anderen Reihe von Gemeinsamkeiten auch eine starke antiislamische Rhetorik miteinander teilen“, zum anderen könnten die Zusammenhänge in den Blick genommen werden, „in denen der Islam nicht als Feindbild, Bedrohung oder Hassobjekt auftaucht“, sondern selbst als ein „wichtiger Mobilisierungsfaktor und als positiver Identifikationsbezug von populistischen Narrativen und politischen Bewegungen funktioniert.“
In letzter Konsequenz werde durch populistische Bewegungen der Gesellschaftsbegriff abgewertet und „zugunsten einer imaginierten, durch einzelne Identitätsmarker definierten Gemeinschaft komplett zur Disposition“ gestellt. Durch kollektive Identitätsbezüge finde eine Reduktion auf ein einziges Identitätsmerkmal statt. Dadurch entstehe, was Sen mit „Identitätsfalle“ oder Maalouf mit der Rede von „mörderischen Identitäten“ bezeichne. In dieser Linie eigneten sich Religionen besonders gut als kollektive Identitätsmerkmale. Omerika bezeichnete die „sozio-ökonomische Dimension des Rechtspopulismus“ als ein Charakteristikum unter anderen. Denn während populistische Aktivitäten nicht selten an wirtschaftliche und soziale Umbruchs- oder Marginalisierungserfahrungen anknüpften, gehörten die Führer*innen populistischer Ideologien oftmals selbst den wirtschaftlichen oder politischen Eliten an.
Neben Instrumentalisierungen von Religion sei aber auch zu untersuchen, inwiefern theologische Denkfiguren oder Traditionen selbst Anschlussmöglichkeiten für populistisches Gedankengut böten. Exemplarisch nannte Omerika in diesem Zusammenhang eine bestimmte islamische Geschichtstheologie, welche die Vergangenheit überhöhe und die gegenwärtige Zeit der Dekadenz bezichtige. Eng damit verbunden sei „die sakralisierte Rolle der muslimischen Ummah als einer suprahistorischen, transzendenten, quasi mythologisierten Gemeinschaft.“ Solchen Konzeptionen entgegen setzte Omerika eine Aufmerksamkeit für Kontingenzen und Bedingtheiten bestimmter Glaubensinhalte sowie menschliche Verortungen, deren Vielfalt sich nicht in einer reduzierten Identität zusammenfassen lasse.
Notwendigkeit theologisch fundiert Position zu beziehen
In einer Gesprächsrunde wurde der Beitrag der Theologien gegen Rechtspopulismus näher konturiert.
Dr. Gregor Taxacher forderte, christliche Akteur*innen müssten sich bewusst machen, dass sie Kirche sind und als solche handeln. Die dadurch zum Ausdruck gebrachte Ermächtigung bringe auch die Verantwortung mit sich, dass „kirchlich-theologische Entscheidungen von innen“ getroffen werden müssten. Bei dem Blick auf die eigene Glaubensgemeinschaft müsse aber auch klar werden: „Die Frage des rechten Autoritarismus ist unser Problem.“ Denn es gebe vielfältige „religiöse, theologische, kirchliche Andockpunkte.“ Gerade wegen innertheologischer Überschneidungen gelte es, sich der normativen Quellen bewusst zu werden, aus denen die religiöse Gemeinschaft schöpfe und die ebenso von der populistischen Seite in Anspruch genommen würden. Eine dadurch geforderte politische Theologie müsse auch zum Ausdruck bringen, wo eine solche Berufung auf theologische Quellen falsch sei. Das führe schließlich zu der Notwendigkeit eines status confessionis, also eines eindeutigen Bekenntnisses dazu, wo ein bestimmtes Verständnis von Christentum „nicht mehr die Kirche Jesu Christi“ darstelle. Systematische Theologie müssen den Gemeinden und anderen christlichen Orten konkrete Anhaltspunkte für solche theologische Verortungen geben.
Claudia Danzer beschrieb die Herausforderungen, aus einer katholisch-theologischen Perspektive über den Rechtspopulismus zu sprechen: „Will die katholische Kirche ihren Anspruch erfüllen und für eine lebendige Demokratie eintreten, muss sie sich selbst um ihrer eigenen Glaubwürdigkeit willen demokratischen Prinzipien und einer demokratischen Kultur verpflichten, also Vielfalt bejahen und Demokratie fördern.“ Dieser Anspruch betreffe auch direkt die theologische Forschung: „Welche Wirklichkeitserfahrungen bleiben außen vor, wer hat Zugang zu entsprechender Wissensproduktion?“ Ferner müssten die einschlägigen Forschungen im Bereich von Rechtsextremismus und Demokratie rezipiert und dadurch nicht zuletzt blinde Flecken in der eigenen Tradition aufgedeckt sowie Präventionsarbeit gegen die eigene Anfälligkeit für rechtsextremistische Einstellungsmuster geleistet werden.
Islamismus als politisches Phänomen
Prof. Amir Dziri plädierte dafür, Islamismus nicht nur als religiöses, sondern auch als politisches Phänomen im Sinne einer „Spielart von Rechtspopulismus“ wahrzunehmen. Ideologische Überschneidungen wie die Betonung von Kollektivismus gegenüber Individualismus oder das Gegebensein von Weltverhältnissen unter Berufung auf die Natur oder auf Gott würden eine solche Einordnung rechtfertigen. Weiterhin stellte Dziri die Vorstellung in Frage, bestimmte Gesellschaftsformen seien primär durch die religiösen Hintergründe geprägt und es gebe in einem strengen Sinne muslimische Gesellschaften.
Dziri schloss seinen Vortrag mit dem Verweis auf vier Strategien, mit denen man dem Populismus begegnen könne. Im Rahmen einer kognitiven Herangehensweise stünden vernunftbasierte Diskussion und Auseinandersetzung im Mittelpunkt, während es bei einer kommunikativen Strategie darum gehe, öffentlich zu widersprechen und die Freude am Streit und am Konflikt zu kultivieren. Soziale Strategien blickten stärker auf die emotionalen Bedürfnisse, die bestimmte Gruppen bewegen, und bemühten sich um ihre soziale Inklusion. Schließlich würden rechtliche Strategien zur Ausweitung von rechtlich verankerten Diskriminierungsverboten greifen. Dziri schloss mit einer optimistischen Perspektive: In den letzten Jahren konnten muslimische Bildungsinitiativen in Deutschland seines Erachtens viel erreichen.
Perspektiven aus der Praxis
Die stärker an der Praxis orientierte Perspektive des Nachmittags wurde eröffnet mit einem Podium über Initiativen gegen (Rechts-)Populismus mit Religionsbezug. Dr. Annalena Schmidt von der „AG Kirche für Demokratie und Menschenrechte“ unterstrich, Kirche und Glaube müssten auch politisch verstanden werden. Niedrigschwellige Formate zu schaffen, um Beteiligung und Aktivierung der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, stellte sie dabei als besonders wichtig heraus. Schließlich berichtete Schmidt von der Initiative „Haltung zeigen!“, die sie gemeinsam mit Lutz Hoffmann ins Leben gerufen hat.
Pastor Dr. Sönke Lorberg-Fehring, Referent für den Christlich-Islamischen Dialog der Nordkirche, erzählte, dass es in seiner Landeskirche zwar schon 1992 Schockereignisse wie die Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen gegeben hatte, die eigentliche kirchliche Auseinandersetzung mit den Themen des Rechtspopulismus und -radikalismus aber erst wirklich in den Jahren 2008 bis 2012 begann, als rund um Lübeck Naziaufmärsche stattfanden. Mit Verweis auf die Lübecker Märtyrer, die am 10. November 1943 unter der nationalsozialistischen Herrschaft hingerichtet worden sind, betonte Lorberg-Fehring die Wichtigkeit einer ökumenischen Erinnerungskultur und eines gemeinsamen Engagements gegen Extremismus. Hierbei stellte er die „Arbeitsgemeinschaft Kirche & Rechtsextremismus“ vor. Wichtig sei auch die wissenschaftliche Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit in den einzelnen Gemeinden, wie dies beispielsweise durch Dr. Helge-Fabien Hertz in seinem Werk „Kollektivbiografische Untersuchung der schleswig-holsteinischen Pastorenschaft“ geschehen sei.
Prof. Bekim Agai sagte, Ressentiments gegenüber Muslim*innen stellten in rechtspopulistischen Bewegungen ein Bindeglied dar, um heterogene Milieus in Bezug auf ein Ziel auszurichten. Weiter konstatierte er, das damit verbundene Gefühl des Ausgegrenztseins werde häufig nicht ausreichend wahrgenommen und von der Gesellschaft zu wenig beachtet. Es seien nicht zuletzt solche Erfahrungen, durch welche Aufwertungsideologien und populistische Bewegungen auch bei Muslim*innen Anknüpfungspunkte finden könnten. Darin werde auch die Einsicht deutlich, dass eigene Diskriminierungserfahrungen nicht unbedingt zu mehr Sensibilität gegenüber ähnlichen Erfahrungen anderer Gruppen führen müssten. Als besorgniserregend beschrieb Agai eine „religiöse Amalgamierung von Populismus in weiten Teilen der islamischen Welt.“ Zugleich seien solche Entwicklungen auch in Deutschland zu beobachten. Die Frage laute deshalb: Wo werden Muslim*innen ausgeschlossen und wo schließen sich diese selbst aus? Dabei müsse der Blick nicht nur auf die extremen Ränder, sondern auch auf die schweigende Mehrheit in der Mitte gerichtet werden.
Politische Theologie rechtspopulistischer Bewegungen
In drei Workshops wurden die Themen vertieft.
Dr. Frank van der Velden ging der Frage nach, ob es eine politische Theologie oder zumindest theologische Argumente gebe, welche die AfD und ihr nahestehende intellektuelle Kreise vertreten. Dafür analysierte er anhand von Materialien der AfD zunächst, wie diese sich 2017 im Jahr des Reformationsjubiläums zu diesem Ereignis positionierte. Luther sei dort als Gründungsvater der deutschen Nation dargestellt worden, „der nicht zerstören wollte, was war, sondern wiederherstellen, was zuvor verloren ging.“ Die AfD sehe sich angesprochen von Luther, wenn dieser fordere, dass man dem Volk „aufs Maul schauen“ und endlich den so genannten „kleinen Leuten“ Gehör verschaffen solle. Weiterhin schilderte van der Velden, wie es der AfD gelinge, sich als Diskurspartnerin, auch in Teilen der Kirche, zu etablieren.
Amir Dziri fragte danach, inwiefern man von einem muslimischen Populismus sprechen könne. Während er eine solche Möglichkeit klar bejahte, unterschied er einen apolitischen Populismus, der eigene Herrschaft umgehen möchte, welcher aber dadurch doch herrschaftsstabilisierend wirke, von einem revolutionären Populismus, der selbst zu politischem Aktionismus aufrufe.
Prävention gegen Rechtsextremismus im Bildungsbereich
In einem sehr praxisnahen Workshop gingen Annalena Schmidt und Derya Sahan, Fachreferentin in der Fachstelle Extremismusdistanzierung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg, auf die konkreten Herausforderungen ein, vor welche rechte Engagements in den Gemeinden stellen und wie dem entgegengetreten werden kann. Dazu berichteten sie von den Erfahrungen in den Engagements der Diakonie Sachsen beziehungsweise der Arbeit gegen Extremismus in Baden-Württemberg.
Dr. Jan-Hendrik Herbst zeigt auf, warum und inwiefern der Bildungssektor ein wichtiges Interventionsfeld für den Rechtspopulismus ist. Anhand von Bildungsmaterial wie dem Werk „Luther für junge Leser“ eines promovierten Historikers und Kuratoriumsvorsitzenden der AfD-nahen Erasmus-Stiftung zeigte er Strategien und Schlagseiten des Zugriffs auf geschichtliche und religiöse Zusammenhänge und diskutierte die bildungspraktischen Herausforderungen. Hakan Turan argumentierte für die Notwendigkeit einer persönlichkeits-integrativen religiösen Bildung als eines wirksamen Faktors gegen rechtspopulistische Polarisierungen und identitäre Identifikationsangebote.
Mediale Verarbeitungen des Rechtspopulismus im Film
Prof. Viera Pierker bot Blicke auf mediale Präsenzen rechtspopulistischer Themen und Aktivitäten. Dabei seien sowohl Islam als auch Christentum insbesondere durch ihr kollektives Identitätsverständnis andockfähig für Populismus. Diesen Befund vertiefte sie in der Analyse des Kurzfilms Masel Tov Cocktail sowie des Films Jes suis Karl. Der erste Film handelt von Dimitrij, einem jüdischen Sohn russischer Einwanderer. Dieser wird von seinem Mitschüler für sein Judesein diffamiert und provoziert, was den Ausgangspunkt der Frage nach einem heute angemessenen Umgang mit dem Nationalsozialismus, der Frage nach Juden in der AfD und Solidarität bildet. Der Film Je suis Karl behandelt die Anziehungskraft des rechten Milieus für junge Menschen anhand einer Organisation namens re/Generation europe, die Ähnlichkeiten mit der Identitären Bewegung aufweist. Dies wird illustriert anhand der Geschichte einer jungen Frau, Maxi, die Teile ihrer Familie bei einem rechtsradikal motivierten Terroranschlag verliert. Später verliebt sie sich in den Anführer eines der Mitverantwortlichen dieses Anschlags und lernt auf diese Weise das entsprechende Milieu kennen. Für sie bleibt der genaue Hintergrund dieser Organisation jedoch verborgen.
Pierker weist darauf hin, dass die dort dargestellte Organisation sich zwar bewusst von der Charakterisierung als religiöse Gemeinschaft abhebe, deren Versammlungen aber doch Parallelen zu einem christlichen Festival aufwiesen. Es werde zwar nicht miteinander gebetet, aber doch gemeinsame Gesten und Rituale vollzogen. Der Film bringe ferner gut zum Ausdruck, dass Populisten keine Mediation zwischen Führer und Volk wollten, sondern eine direkte Ansprache ohne Institutionen, Parteien oder ähnliches anstrebten. Schließlich analysierte Pierker aktuelle Entwicklungen im Bereich des Katholizismus im Social Media-Kontext. Einerseits würden heute Aktionen und Haltungen in den sozialen Netzwerken inszeniert: So filmte beispielsweise Alexander Tschugguel, wie er 2019 während der Amazonas-Synode die Pachamama-Statuen aus einer Kirche entwendete und in den Tiber warf, und stellte dieses Video auf Twitter. Andererseits fänden viele ideologische Kämpfe in den Kommentarspalten von sozialen Netzwerken statt, was Pierker anhand einiger Reaktionen auf die Nachricht der EKD von Kauf eines Seenot-Rettungsschiffs exemplarisch erläuterte.
Zusammenfassung und Ausblick
Im Rahmen des Kolloquiums gelang es, im Frühjahr diskutierte Gedanken zu vertiefen und neue Akzente zu setzen.
So konnte weiter ausgelotet werden, was es heißt, dass christliche und muslimische Religionsgemeinschaften sich nicht nur als Gegenüber zum Rechtspopulismus verstehen sollten, sondern selbst Andockpunkte für diesen haben. Gerade der Blick auf solche Übergänge und Scharnierfunktionen stellt sich als bedeutsam für die Bekämpfung des Rechtspopulismus dar. Aus dieser kritischen Selbstreflexion kann auch die theologische Wissenschaft nicht ausgenommen sein. Bestimmte Theologumena können sich ja als besonders anschlussfähig erweisen. Ob sie bereits als solche problematisch sind oder erst in einem bestimmten Verwendungszusammenhang, ist jeweils zu untersuchen. Zugleich wurde nochmal deutlicher, auf welchen Ebenen die Religionsgemeinschaften sich gegen Rechtspopulismus engagieren. Dabei veranschaulichten die vorgestellten Initiativen die verschiedenen Formen von Bemühungen, wie Dziri sie in seinem Vortrag entfaltet hat. Damit wurden Handlungsfelder und Praxiserfahrungen der gerade im Engagement gegen Rechtspopulismus so wichtigen Akteursebene einbezogen, die in der Märzveranstaltung des Forums (die corona-bedingt nur online und in verknappter Form realisierbar war) stärker ausgeklammert werden mussten.
Ebenso wurde an manche Definitionsvorschläge des Begriffs Populismus angeknüpft, wie beispielsweise an das Selbstverständnis von einem als homogen gedachten Volk. Weiterzudenken ist, was es bedeutet, dass Volkssouveränität und Verführung des Volkes eng beieinander liegen und inwiefern Elemente der repräsentativen Demokratie, in welcher die Staatsgewalt durch „besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt“ (Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG) wird, diese Differenz bewahren können.
Zu Recht wurde auch betont, dass die Religionsgemeinschaften ihre eigene Verfasstheit bedenken müssen, um sich glaubwürdig für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte einsetzen zu können. Gleichzeitig ist weiter zu erörtern, inwieweit die konkreten Formen solcher Strukturen aus dem staatlichen Bereich auf Religionsgemeinschaften übertragbar sind.
Schließlich wurde die Wichtigkeit einer profilierten politischen Theologie verdeutlicht. Dies umso mehr, als erkennbar wurde, dass sich auch rechtspopulistische Bewegungen theologischer Argumentationen bedienen. Auch dies ein Thema, bei dem es sich lohnt, dass christliche und islamische Theologien und Religionsgemeinschaften im Gespräch sind und zusammenarbeiten.
Beiträge aus dem Herbstkolloquium
und der Online-Jahrestagung vom Frühjahr 2022
sind inzwischen publiziert im
Forumsband „Rechtspopulismus und Religion“.