Neue Online-Publikation zu Sozialen Diensten

Feld eines interreligiösen Dialogs des Handelns

Stuttgart. Zur Tagung „Interreligiöse Öffnung und Zusammenarbeit? Soziale Dienste als Feld eines Dialogs des Handelns“ (am 11. bis 12. Mai 2015 im Tagungszentrum Hohenheim) liegt nun die Online-Publikation der Tagungsbeiträge und ein ausführlicher Tagungsbericht vor. Die Tagung wurde gefördert durch das Bundesministerium des Innern und mitgetragen vom Deutschen Caritasverband, dem Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart sowie der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen.  

Zu den einzelnen Beiträgen der Tagung

Wohlfahrtsarbeit ist ein Dienst am Notleidenden – dieses wichtige Feld eines interreligiösen Dialogs des Handelns wirft drängende Fragen auf für das zukünftige Profil der Wohlfahrtspflege in Deutschland. So nehmen etwa Muslime häufig Angebote von Caritas und Diakonie wahr. Es gibt bereits ein hohes Maß an Begegnungserfahrung in der Praxis, die aber erst in Ansätzen konzeptionell aufgearbeitet wurde und nach wie vor von Unsicherheiten begleitet ist. Insbesondere benötigen Mitarbeitende dazu interkulturelle und interreligiöse Kompetenzen. Die Beschäftigung von muslimischen Mitarbeiter/innen, die möglicherweise einfühlsamer auf die Belange von Muslimen eingehen könnten, in christlich getragenen Organisationen ist arbeitsrechtlich und theologisch nach wie vor sehr voraussetzungsreich. 

Zugleich gibt es vielfältige Erfahrungen der Zusammenarbeit mit islamischen Sozialeinrichtungen. Diese sind bislang noch kaum in das Wohlfahrtswesen eingebunden mit seiner in Deutschland historisch gewachsenen Struktur, die freilich angesichts von Liberalisierung und Ökonomisierung selbst vor Herausforderungen steht. Die bestehenden sechs Spitzenverbände besitzen jeweils ein spezifisches Profil, das auch die gesellschaftliche Vielfalt weltanschaulicher Prägungen abbildet. Eigene islamische wohlfahrtsverbandliche Strukturen könnten vieles erleichtern, die weitere Professionalisierung ihrer Dienste ebenso wie eine politische Interessenvertretung oder Verhandlungen mit Kostenträgern, so dass staatliche Fördermöglichkeiten besser genutzt werden könnten. 

Welche Schwierigkeiten und möglichen Wege – von Kooperationen über Mitgliedschaften etwa im Paritätischen Wohlfahrtsverband bis hin zur Gründung eines oder mehrerer islamischen Wohlfahrtsverbände – hier bestehen, wird noch unterschiedlich beurteilt. Die Tagung bot zu diesen gegenwärtig insbesondere auch in der Deutschen Islamkonferenz erörterten Fragen einen begleitenden interreligiösen und theologischen Reflexionsraum. Ingo Bode von der Universität Kassel führte in die Infrastruktur des deutschen Sozialstaates ein und erläuterte Standards der Wohlfahrtspflege: Wohlfahrtsverbände müssen bundesweit tätig sein, mit Ortsverbänden in Verbindung stehen. Sie haben eine ideelle Wertebasis und müssen in ihrer Arbeit offen für alle sein. Er kritisierte eine „Vermarktlichung“ der Wohlfahrtsarbeit, die Konkurrenzverhalten, Misstrauen und Bürokratie produziere.

Volker Nüske vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erläuterte, weshalb die Deutsche Islamkonferenz sich des Themas der Wohlfahrtsarbeit angenommen hat: Religionssensible Beratungs- und Pflegeangebote seien in der Sozialen Arbeit sehr wichtig. 
Neben Joachim Rückle vom Diakonischen Werk Württemberg und Detlef Schneider-Stengel vom Arbeitskreis Integration im  Bistum Essen positionierte sich Dorothee Steiof vom Diözesan-Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum Thema der interreligiösen Öffnung. 

Dorothee Steiof sprach sich dafür aus, dass die Caritas sich auch für eine Beschäftigung muslimischer Mitarbeiter/innen öffne. Theologische Grundlage dafür sie der Glaube an die bedingungslose Liebe Gottes zu jedem Menschen in der jeweiligen Kultur, Religion und Weltanschauung. Sie plädierte dafür, explizite Formen der Wertschätzung von Vielfalt innerhalb der Caritas zu finden. Die christliche Werteorientierung der Caritas mache sich nicht in erster Linie an formalen Kriterien wie dem Taufschein fest, sondern an der Frage: Wie tragen Mitarbeitende und Strukturen dazu bei, dass karitative Einrichtungen die Liebe Gottes erfahrbar machen?


Arbeitsgruppen
In Arbeitsgruppen erläuterten verschiedene Referent/innen Einzelfragen interreligiöser Öffnung und Zusammenarbeit. In einer von Eugen Baldas vom Deutschen Caritasverband geleiteten Sektion wurde in trialogischer Besetzung – Günter Jek von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden, Hanim Ezder vom Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen, Fritz Weller vom Caritasverband Stuttgart – über Fragen interreligiöser Solidarität und interreligiöser Öffnung in Einrichtungen der freien Wohlfahrtspflege bei Juden, Christen und Muslimen diskutiert. Timo Güzelmansur von der Christlich-islamischen Begegnungs- und Dokumentationsstelle (CIBEDO) in Frankfurt behandelte rechtlichen Fragen der haupt- und ehrenamtlichen Mitwirkung in kirchlichen Diensten und Einrichtungen. Josef Freise von der Kölner Abteilung der Katholischen Hochschule NRW, beschrieb Möglichkeiten der Ausbildung in interreligiöser Kompetenz für die Soziale Arbeit und stellte den neuen berufsbegleitenden Master für Interreligiöse Dialogkompetenz vor, der im April 2016 starten soll: www.interreligioeser-master.de 

Aron Schuster, erläuterte als stellvertretender Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Frankfurt die Geschichte, Grundlagen und Praxis der jüdischen Wohlfahrtsarbeit in Deutschland, bevor am zweiten Tagungstag islamische Wohlfahrtsarbeit im Zentrum der Tagung stand. Abdelmalek Hibaoui vom Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen begründete islamische Wohlfahrtsarbeit mit der 1. Sure des Korans: Wir sollen die Barmherzigkeit Gottes allen Menschen weiterschenken. Gott bedient sich eines Menschen, um ihm seinen Rat zu geben.

Mohammed Johari vom Islamischen Informations- und Serviceleistungen e.V. Frankfurt erläuterte seine empirischen Forschungen zum Verhältnis der Moscheegemeinden zur Sozialen Arbeit. Diskussionsthema war im Anschluss daran unter anderem die Frage nach den Bedingungen und Problemen der Ausbildung, Einbindung und Beschäftigung von Imamen in Deutschland insbesondere in Strukturen der Wohlfahrtsarbeit und unterschiedlicher seelsorglicher Praxisfelder. 

Ayten Kilicarslan von der DITIB in Köln sieht noch theologische Desiderate und Herausforderungen für die neu eingerichteten Zentren für Islamische Theologie an deutschen Universitäten. Eine stabile Imamausbildung in Deutschland erfordere wohl noch mehrere Jahre. Hanim Ezder berichtete von den vielfältigen Beratungs- und Bildungsangeboten des von muslimischen Frauen getragenen Begegnungs- und Fortbildungszentrum in Köln (BFmF) das dem paritätischen Wohlfahrtsverband angeschlossen ist. Djavad Mohaghegi vom Islamischen Zentrum Hannover und Dr. Thomas Lemmen von der Erzdiözese Köln fassten Ergebnisse der Tagungsdiskussionen zusammen: Die Schaffung eines oder mehrerer islamischer Wohlfahrtsverbände in der Zukunft sei denkbar. Diese sollten dann auch Dienste für Nichtmuslime bereitstellen. Daneben stehen alle Wohlfahrtsverbände vor der Aufgabe, sich interreligiös zu öffnen.

Auch die Arbeiterwohlfahrt nehme, so Thomas Lemmen, muslimische Religiosität in Fortbildungen ernst. Er verwies auf bestehende interreligiöse Erfahrungen in der Sozialen Arbeit: In Aachen würden im Ramadan „Armenspeisungen“ von katholischen Ordensschwestern und Muslimen gemeinsam organisiert. In Nordrhein-Westfalen habe eine interreligiöse Notfallseelsorgeausbildung dazu geführt, dass es in zehn Städten inzwischen interreligiöse Teams der Notfallbegleitung gibt. So konnten nach dem Absturz der Germanwings-Maschine vier muslimische Notfallbegleiter/innen muslimische Hinterbliebene betreuen.

Download der einzelnen Tagungsbeiträge:

Prof. Dr. Ingo Bode: Die neue Infrastruktur des deutschen Sozialstaates und ihre Folgen für wertegebundene Wohlfahrtsproduzenten (Präsentation, Download)

Hanim Ezder: Beispiele islamischer Wohlfahrtsarbeit: Akteure, Handlungsfelder,
interreligiöse Zusammenarbeit im Bereich der Beratung (Präsentation, Download)

Prof. Dr. Josef Freise: Ausbildung in interreligiöser Kompetenz für soziale Arbeit (Präsentation, Download)

Dr. Timo Güzelmansur: Haupt- und ehrenamtliche Mitwirkende in Diensten und
Einrichtungen – rechtliche Fragen (Präsentation, Download)

Dr. Abdelmalek Hibaoui: Grundlagen und Verständnis von Beratung im Kontext islamischer Wohlfahrtsarbeit – islamisch-theologische Zugänge (Präsentation, Download)

Mohammed Johari: Grundlagen und Verständnis von Beratung im Kontext islamischer Wohlfahrtsarbeit (Manuskript, DownloadDownload)

Ayten Kilicarslan: Beispiele islamischer Wohlfahrtsarbeit: Akteure, Handlungsfelder,interreligiöse Zusammenarbeit im Bereich der Beratung (Manuskript, Download)

Dr. Thomas Lemmen: Wohlfahrtsarbeit als Feld eines interreligiösen Dialogs des Handelns – Rückblick und Zukunftsszenarien (Präsentation, Download)

Volker Nüske: Staatliche Perspektive im Kontext aktueller Entwicklungen der
Deutschen Islam Konferenz (Manuskript, Download)

Dr. Joachim Rückle: Aus der Not zur Tugend: Interreligiöse Öffnung zwischen Anspruch und Wirklichkeit (Manuskript, Download)

Dr. Detlef Schneider-Stengel: Trainings in interreligiöser Öffnung und die Vermittlung von Haltungen (Präsentation, Download und Handout, Download)

Aron Schuster: Geschichte, Grundlagen und Praxis jüdischer Wohlfahrtsarbeit
in Deutschland (Manuskript, Download)

Dr. Dorothee Steiof: Theologische Begründungen und verbandliche Konkretisierung interreligiöser Öffnung (Präsentation, Download)

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