Neue Fragen an die Theologie

„Säkular und religiös – Herausforderungen für islamische und christliche Theologie“ – unter diesem Motto hat vom 1. bis 3. März das 16. Theologische Forum Christentum-Islam stattgefunden.

Die begriffliche Klarheit zwischen „säkular“ und „religiös“, die der Titel des diesjährigen Theologischen Forums Christentum-Islam nahelegt, wurde durch die einführenden Worte von Juniorprofessorin Muna Tatari (Paderborn) und Dr. Eckhard Zemmrich (Berlin) angefragt. Denn die Begriffe „säkular“ und „religiös“ seien nicht ohne Weiteres trennscharf auseinander zu halten. Genauso wenig haltbar sei der oft konstruierte Gegensatz zwischen den klar säkular geprägten westlichen oder christlichen Staaten gegenüber den nicht-westlichen oder muslimischen Staaten, für die Säkularität vollkommen unbekannt sei. Mit Fragen nach dem Mehrwert der Religionen für öffentliche Herausforderungen oder nach der Möglichkeit einer konstruktiven Verbindung von Religion und Säkularität wurden bereits zentrale Fragestränge der Tagung vorgezeichnet.

Komplexe Deutungsgeschichte und die nötige Dekonstruktion

Die Frage nach der Deutungsgeschichte der Differenz zwischen „säkular“ und „religiös“ wurde im nachfolgenden Vortrag von Professor Thomas Schmidt (Frankfurt) behandelt. Schmidt legte drei Schritte der Verhältnisbestimmung dieser Differenz dar: Er begann mit der Weberschen Deutung der Säkularisierung als Ausdifferenzierung und so als Distinktionskategorie, die a contrario das Religiöse bestimmbar macht. Eine andere Deutung schlage einen erweiterten Religionsbegriff vor, wonach Religion als säkularisierungsresistent dargestellt wird und nun auch in auf den ersten Blick nichtreligiösen Formen erscheinen kann, wie in der Kunst, im Sport oder in der Wirtschaft. Schließlich gebe es die These der multiplen Modernität und Säkularität, die mit verschiedenen Formen und Ausprägungen der säkularen Ordnung rechnet. Anhand dieser verschiedenen Deutungen werde klar, dass Säkularisierungsthesen keine einfache Abbildung der Prozesse darstellen, sondern dass das Phänomen als Beschriebenes immer schon ein Bedachtes ist. Religion wurde von Schmidt als das andere der Moderne in der Moderne gedeutet – dieses Verhältnis von Immanenz und Transzendenz sei auch aus der Theologie wohlbekannt.  

Dr. Mahmoud Bassiouni (Frankfurt) beschäftigte sich in seinem Vortrag mit zwei Narrativen der Entstehung der säkularen Ordnung: Säkularisierung als Produkt des Christentums und Säkularisierung als Produkt der Religionskriege. Er zeigte auf, dass solche Narrative vor allem eine Geschichte über das kollektive Selbst darstellen und damit auch festlegen, wer nicht zu diesem Selbst dazugehört. Bezüglich der europäischen Religionskriege verwies Bassiouni darauf, dass diese zu einer stärkeren Konfessionalisierung geführt haben und somit allenfalls einen einzelnen Schritt auf dem Weg zu einer säkularen Gesellschaftsordnung darstellten. Interessanterweise werden diese beiden Narrative sowohl auf westlicher Seite verwendet, um Muslimen eine Fähigkeit zum Leben in einem säkularen Kontext abzusprechen, als auch auf muslimischer Seite, um zu folgern, dass Säkularität für Muslime kein mögliches Konzept sei, da sie beispielsweise keinen 30jährigen Krieg erfahren hätten oder der Koran eine solche Gesellschaftsform nicht zulasse. Bassiouni zeigte die Wichtigkeit auf, solche Narrative zu dekonstruieren und so die damit verbundenen Diskriminierungen und Verzerrungen aufzubrechen. In der anschließenden Diskussion wurde aber auch die Schwierigkeit deutlich, ein entsprechendes Gegennarrativ zu schaffen, das hilfreich wäre für die öffentliche Diskussion.  

Vergleichbares, wenn auch nicht Gleiches

Professorin Monika Wohlrab-Sahr (Leipzig) stellte zu Beginn ihres Vortrags dar, dass die früher vertretene These der Vorreiterrolle Europas hinsichtlich der Säkularisierung heute oft einer Sonderwegsthese weiche, nach der Europa nicht den Regelfall darstelle, sondern einen Einzelfall. Frau Wohlrab-Saar kritisierte diese heute vertretene Sonderwegsthese erst einmal hinsichtlich ihrer Konsequenzen: Dadurch würden die Unterschiede zwischen Okzident und Orient manifestiert, es geschehe eine wechselseitige Abwertung und schließlich könne eine dann nur noch übrigbleibende Genealogie immer sowohl herrschaftskritisch als auch herrschaftssichernd genutzt werden. In einem zweiten Schritt zeigte sie auf, dass eine solche These des Sonderwegs auch inhaltlich nicht überzeuge. Es stimme zwar, dass die westlichen Vorstellungen der Säkularität ihren Ursprung im Westen haben, doch dies sage noch nichts darüber aus, ob es in anderen Kulturkreisen nicht vorgezeichnete Linien geben könne, an die die westlichen Differenzierungen anknüpfen können. Dabei sei es möglich, Familienähnlichkeiten zu finden und so Vergleichbares, wenn auch nicht Gleiches aufzuweisen. So verwies sie auf das Konzept der dualen Herrschaft in Japan oder strukturelle Differenzierungen in der islamischen Gesellschaft seit dem 8. Jahrhundert. Mit einer solchen Position grenzte Wohlrab-Saar sich von einer Hermeneutik ab, die solche Vergleiche aufgrund einer postulierten absoluten Unterschiedlichkeit unterlässt, während sie aber auch betonte, dass diese Vergleiche immer mit einer „vorsichtiger Heuristik“ geschehen müssen.

Transzendenz als Horizont rationalen Denkens

Die aus einer soziologischen Perspektive eingebrachten Überlegungen wurden nun theologisch auf christlicher Seite durch Professorin Elisabeth Gräb-Schmidt (Tübingen) und auf muslimischer Seite durch Professor Zekirija Sejdini (Innsbruck) weitergeführt. Oft werden Säkularisierung und Rationalität der Religion auf der anderen Seite gegenübergestellt. Diese Opposition wollte Gräb-Schmidt aufbrechen, indem sie dafür argumentierte, dass der Ausgriff auf ein Ganzes, einen Grund unerlässlich sei, um sich orientieren zu können. Diese Notwendigkeit lasse das Religiöse freilich diffuser werden, da dies als Möglichkeitsbedingung rationalen Denkens noch eine sehr grundlegende Form der Transzendenzbezogenheit bezeichnet. Sejdini vertiefte noch einmal die Frage der Kompatibilität des Islam mit einer säkularen Ordnung. Mit Nachdruck plädierte er dafür, von einer essentialistischen Sichtweise abzurücken, die diese beiden Größen für unvereinbar hält. Eine solche Position sei auch nicht vom Koran gedeckt. Beispielsweise werde die Souveränität Gottes dort nicht in politischer, sondern in ontologischer Weise festgehalten. Da sich auch aus den Aussagen des Propheten Mohammed keine eindeutige staatliche Ordnung ableiten lasse, stehe Muslimen nichts im Wege, Säkularisierung wertschätzend zu fördern.

Dialog2go und Theofunk  

Am Nachmittag gab es beim Offenen Forum die Möglichkeit, über insgesamt 13 Projekte, Initiativen oder wissenschaftliche Arbeiten ins Gespräch zu kommen. Dabei konnte man auch selbst interagieren, wie bei der Projektvorstellung „Dialog2go“, bei dem es darum geht, mit prägnanten Fragen wie „Was ist Demokratie?“ auf einem Plakat einen Diskursraum zu eröffnen. Studenten aus Frankfurt stellten ihr Podcastprojekt „Theofunk“ vor, das wissenschaftliche Fragestellungen der islamischen Theologie einem breiteren Publikum zugänglich machen möchte.

Ersatzdiskurse aufbrechen

Anschließend wurden in fünf thematischen Foren einzelne Themenstränge vertieft.

Eine Neuheit in diesem Jahr war ein Forum, in dem eine Textarbeit die Grundlage für die Diskussion darstellte. Dabei wurden von Dr. Michaela Quast-Neulinger (Innsbruck) und Dr. Aydin Süer (Weingarten) die Diskussion zweier Kapitel aus Talal Assads Werk „Ordnungen des Säkularen. Christentum, Islam, Moderne“ moderiert.

Dr. Assem Hefny (Marburg) und Dr. Annette Langner-Pitschmann (Salzburg) diskutierten das Verhältnis verschiedener Modelle ziviler Staatlichkeit zur Religion. Dabei ging Hefny auf die Idee der Zivilität im Islam ein, während Langner-Pitschmann danach fragte, in welcher Weise auch heute noch in christlichen Kreisen theologische Topoi als Bedingung der Möglichkeit zivilen Miteinanders angesehen werden. Dies brachte die sehr grundlegende Frage auf, ob und wenn ja wie ziviles Miteinander in rein säkularer Weise begründet werden kann.

In einem weiteren Forum wurde über die Rolle der Religion im öffentlichen Raum diskutiert. Professorin Armina Omerika (Frankfurt) vertrat die These, dass die starke Fokussierung der öffentlichen Diskussion auf die Präsenz des Islams und seiner Symbole in der Öffentlichkeit einen Ersatzdiskurs darstelle. Dadurch würden die eigentlichen Fragen, die eine neue Aushandlung des Verhältnisses zwischen Religion, Staat und Öffentlichkeit betreffen, verdeckt. Dass solche Fragen, auch in Bezug auf die anderen Religionen, in Zukunft nicht weniger werden, stellte Dr. Johannes Frühbauer (Heidelberg) anhand verschiedener Beispiele dar. In der Diskussion wurde deutlich, dass eine zukunftsweisende Auseinandersetzung dieser Fragen auch die heute immer stärker vorhandene Kritik aus dem Inneren der Religionsgemeinschaften ernst nehmen sollte. Außerdem gelte es immer wieder, eine machtkritische Position einzunehmen, die danach fragt, ob Diskurse nicht in grundlegender Weise von strukturellen Ungleichheiten geprägt sind.

Die heutige gesellschaftliche Auseinandersetzung um das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit wird immer stärker davon geprägt, dass es viele Personen gibt, die sich als atheistisch oder konfessionsfrei verstehen. Dr. Muhammed Sameer Murtaza (Tübingen) und Professor Daniel Cyranka (Halle/Saale) setzten sich mit der Frage auseinander, ob man vor solchen Befunden von einer anthropologischen Disposition zur Religion ausgehen kann. Cyranka vertiefte insbesondere die Frage, ob und inwiefern die Situation des Christentums und des Islams in Ostdeutschland eine andere als in Westdeutschland ist. Schließlich wurde über die Konsequenzen, die Atheismus und Konfessionsfreiheit für den christlich-islamischen Dialog haben sollen, diskutiert.

Gerade angesichts schwindender institutionell verfasster Religiosität und ebenso der atheistischen Sichtweisen, stellt sich die Frage nach der Berechtigung und Notwendigkeit der bisherigen Modelle des Religionsunterrichts. Dass dieser grundsätzlich weiterhin Relevanz hat, zeigt sich an dem immer noch vorhandenen Interesse an Grund- und Sinnfragen des menschlichen Lebens. Über die aus diesen Befunden resultierende Optionalität religiöser Bildung diskutierten Professorin Rita Burrichter (Paderborn) und Junioprofessorin Fahimah Ulfat (Tübingen). Kontrovers wurde diskutiert, inwiefern Religionsunterricht einerseits Zugänge zu religiösen und andererseits zu säkularen Welten eröffnen kann.

Am Samstagabend wurden durch die George-Anawati-Stiftung drei Nachwuchswissenschaftler ausgezeichnet für ihre Essays zu unterschiedlichen Feldern des christlich-islamischen Dialogs. Die Texte waren hervor gegangen aus einer Studienwoche zu „Christlich-islamischen Beziehungen im europäischen Kontext“, welche die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart zusammen mit der Eugen-Biser-Stiftung organisiert.

Mit Recht und Politik in der Diskussion

Professor Stefan Hammer (Wien) beschäftigte sich am Sonntagmorgen noch einmal ausdrücklich mit religionsrechtlichen Fragestellungen, die in vielen der Diskussionen schon eine Rolle gespielt hatten. Er stellte heraus, dass staatliche Säkularität freiheitsrechtlich fundiert sein müsse. In diesem Sinne diene Säkularität der möglichst umfassenden Ermöglichung von Religionsfreiheit. Er wies auf die Gefahr hin, wenn Säkularität aus dieser Fundierung herausgelöst wird und dann Neutralität im Sinne eines Verbannens der Religion aus dem öffentlichen Raum bedeutet. Gleichheit stellte er als eine Relationsbestimmung dar, wonach formal gleiche Regelungen Menschen jeweils unterschiedlich intensiv betreffen können. Hammer warnte vor der Illusion einer Begründungsneutralität, die frei sei von jeglichen weltanschaulichen Vorprägungen, da damit oftmals dennoch vorhandene vorgängige Wertsetzungen verdeckt und so bestimmte Normalitäten geschaffen würden, die als ihrerseits nicht mehr rechtfertigungsbedürftig dargestellt werden.  

Das abschließende Podium suchte die Diskussion mit Personen aus der Politik: Bettina Jarasch als Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin und Professor Michael Hermann als Ministerialrat im Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg. Auf der Linie des Vortrags von Professor Hammer kritisierte Jarasch das Berliner Neutralitätsgesetz, da dieses beabsichtige, den öffentlichen Raum von Religion frei zu halten, anstatt durch Neutralität Religionsfreiheit zu ermöglichen. Hermann stellte das Modell in Baden-Württemberg vor, bei der eine neue Rechtspersönlichkeit geschaffen wurde als Surrogat für nicht als Religionsgemeinschaft anerkennbare muslimische Verbände, welche dadurch den Religionsunterricht gestalten können. Ein Vorteil dabei sei unter anderem, dass innerhalb dieser Rechtspersönlichkeit auch nicht verbandlich verfasste muslimische Personen mitwirken können. Auf dem Podium wurde  auf die Fragilität von solchen Zwischenlösungen hingewiesen, wenngleich der weiterführende Charakter solch neuer kreativen Wege intensiverer Kooperation positiv hervorgehoben wurde.

NachwuchswissenschaftlerInnen ausgezeichnet

Die Georges-Anawati-Stiftung hat im Rahmen der Fachtagung des „Theologischen Forums Christentum – Islam“ an der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart drei Preise an NachwuchswissenschaftlerInnen verliehen, die sich in herausragenden Essays mit dem christlich-islamischen Dialog befasst haben.

Den mit 500 Euro dotierten ersten Preis erhielt Vanessa Walker für ihren Essay: „Natürliche Gotteskompetenz“ und fiṭra als Ausgangspunkte einer gemeinsamen abrahamitischen Religionsanthropologie?“

Für seinen Essay „Ein christlich-islamischer Dialog der Befreiung: für ein gemeinsames solidarisches Handeln“ wurde Robin Flack mit dem mit 300 Euro dotierten zweiten Preis ausgezeichnet. Der dritte, mit 200 Euro dotierte Preis ging an Carolin Schulz für ihren Essay „Begriffe begreifen“.

Die Nachwuchswissenschaftler haben am Essaywettbewerb im Rahmen der Studienwoche „Christlich-islamische Beziehungen im Europäischen Kontext“ teilgenommen, die von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Eugen-Biser-Stiftung veranstaltet wird. Die Preisträger wurden ausgewählt vom wissenschaftlichen Beirat der Georges-Anawati-Stiftung zur Förderung des interreligiösen Dialogs und der friedlichen Begegnung von Christen und Muslimen in Deutschland. Die Laudatio im Namen der Georges-Anawati-Stiftung hielt der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates, Pfarrer Konrad Hahn.

Die Essays können auf der Homepage der Stiftung unter www.anawati-stiftung.de eingesehen werden.

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