verfasst von Irka Weiß, Muhammed Mansur Dogan, Abdelghafar Salim
Die Studienwoche 2023, organisiert von der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart in Kooperation mit der Eugen-Biser-Stiftung München, stand unter dem Thema „Christlich-islamische Beziehungen im europäischen Kontext“. Vom 1. bis 6. Oktober trafen sich Studierende aus verschiedenen akademischen Disziplinen im Tagungshaus Weingarten, um sich intensiv mit dem Schwerpunkt „Konflikt- und Friedensethik“ auseinanderzusetzen sowie mit den Herausforderungen, die sich aus der Vielfalt religiöser und kultureller Prägungen sowie dem Zusammentreffen verschiedener Kommunikationsstile und Sprachen ergeben. In einer Zeit, in der Konflikte unsere Lebensrealität bestimmen, war diese Thematik von besonderer Relevanz.
Das von der Eugen-Biser-Stiftung publizierte „Lexikon des Dialogs“, ein Werkzeug, das auf theologischen Dialogbemühungen seit 2005 basiert, wurde als exemplarisch für methodische Schwierigkeiten dialogischer Unternehmungen diskutiert. Es enthält Schlüsselbegriffe, die für den religionsbezogenen Dialog, besonderes zwischen Christentum und dem Islam, wesentlich sind. In von Stefan Zinsmeister angeleiteten Gruppenarbeiten wurden ausgewählte Lexikonartikel bearbeitet. Dabei wurden die Herausforderungen im Finden von Entsprechungen für religionsspezifische Konzepte in unterschiedlichen Religionen deutlich.
Dr. Raja Sakranis Beitrag fokussierte auf die religionsrechtlichen Aushandlungsprozesse in einem religiös pluralen und säkularen Umfeld. Sie zeigte die Vielfalt muslimischen Lebens und betrachtete als eine Konkretion Moscheebau-Projekte. Dabei wurde betont, dass die lokalen Strukturen und die alltägliche Praxis untrennbar miteinander verbunden sind und dass Konflikte häufig nicht primär aus religiösen Differenzen entstehen.
Prof. Dr. Nedim Begovic aus Sarajevo zeigt anhand der religiösen Landschaft in Bosnien-Herzegowina die historische Entwicklung religiöser Dominanz. Er schilderte die Auswirkungen des Zusammenbruchs der Sowjetunion und der Kriegsfolgen auf die Erweiterung des Geltungsbereichs religiöser Freiheiten und die Schaffung institutioneller Mechanismen zu ihrem Schutz. Die Komplexität der dortigen Situation wurde anhand konkreter Beispiele religiös geprägter Rechtsfälle veranschaulicht, wie solchen, die das Tragen von religiöser Symbolik oder Kleidung betreffen.
Das von Dr. Ertugrul Şahin organisierte Planspiel fokussierte auf Prozesse der Co-Radikalisierung. In einer simulierten Stadtratssitzung übernahmen die Teilnehmenden verschiedene Rollen, um Radikalisierungs- und Kommunikationsprozesse nachvollziehbar zu machen. Ziel war es, ein Verständnis für unterschiedliche Positionen zu entwickeln und deren Motivationen und Konsequenzen zu beleuchten.
Professor Ufuk Topkara führte in den Begriff einer islamischen Friedensethik ein. Er ging aus vom soziologischen Ansatz Eddie Hartmanns und stellte die menschliche Verantwortung in einer fragmentierten Gesellschaft in den Mittelpunkt. Die Diskussion sensibilisierte für verschiedene Dimensionen und Konzepte von Gewalt und spitzte sich zu auf die Frage, wie Menschen Leid zulassen können, sowie auf die Notwendigkeit einer selbstkritischen Haltung als Grundlage für Verständnis und Miteinander.
Professorin Martina Bär behandelte christliche Konzepte von Versöhnung. Sie diskutierte anhand eines Textes von Sarah Jäger religiös motivierten Pazifismus am Beispiel des Ukraine-Konflikts. Dabei wurde besonders das Verhältnis von Ideal- und Realpolitik kritisch betrachtet.
Der folgende Block bot den Teilnehmenden die Möglichkeit, bisher offen gebliebene Punkte zu reflektieren: In Kleingruppen wurden Themen wie „Staat und Religion“, „Gender-Fragen/Sexualität“, „Mystik“ und „Glaubensrituale“ reflektiert und diskutiert.
Professorin Mualla Selçuk und Dr. Frank van der Velden thematisierten die Rolle von Religion in modernen, säkularen Demokratien. Besonderes Augenmerk lag dabei auf dem Konzept der Menschenwürde im Umgang mit dem Eigenen und dem Fremden, insbesondere in der Interaktion mit unterschiedlichen Weltanschauungen. Betont wurde die Einbettung von Religion in Kultur, die Gefahr von Essentialisierung oder Verallgemeinerungen und stattdessen die Notwendigkeit, Diversität und die lokale Lebensrealität im Blick zu behalten. Aus dieser Diskussion ging auch eine Zusammenstellung von Zukunftsvisionen hervor.
Das abschließende Panel „Teaching and Learning for Interreligious Encounters“ konzentrierte sich auf dialogische Methodik und persönliche Dispositionen in interreligiösen Begegnungen. Es wurden Konzepte und Projekte der interreligiösen Begegnung vorgestellt wie die Plattform Taʿaddudīya und betont, dass bei der Annäherung an das „Andere“ auch eine Repräsentation des „Eigenen“ stattfindet.
Die Studienwoche zeigte, dass ein erfolgreicher Dialog Kommunikation, Offenheit und Anerkennung erfordert, sowie eine Aufmerksamkeit auf die religiöse und alltagspraktische Pluralität. Die Überwindung von Konfliktmustern verlangt eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem „Eigenen“ und „Fremden“ und eine kritische Selbstreflexion.