Mit Wolfgang Schäuble, verstorben am 26. Dezember 2023, verlieren wir nicht nur einen herausragenden Staatsmann, sondern auch einen entscheidenden Weichensteller für den interreligiösen Dialog und einen Visionär für ein Zusammenleben der Religionen in gegenseitiger Anerkennung.
Am 6.3.2009 eröffnete Minister Schäuble die Jahrestagung des Theologischen Forums Christentum – Islam mit dem Vortrag „Zusammen in Deutschland – zum Dialog zwischen Christen und Muslimen“ und diskutierte dazu im Anschluss mit den Kommentatoren Prof. Dr. Abdullah Takım (Universität Frankfurt) und Prof. Dr. Enes Karić (Fakultät für Islamische Studien, Sarajevo). Der Vortrag ist publiziert im Forumsband „Nahe ist dir das Wort…Schriftauslegung in Christentum und Islam“.
Schäuble setzt damit ein, wie zentral „die Frage nach der richtigen Auslegung“ „für jede schriftgebundene Kultur und Gesellschaft“ ist – eine Frage, so Schäuble damals, die „mir nicht unbekannt“ ist, „denn auch Juristen beschäftigen sich mit der Frage, was ein Text ursprünglich gemeint haben könnte und wie ein Text in der Gegenwart anzuwenden ist.“
„Mit den Antworten, die wir geben, gestalten wir die Welt mit, in der wir leben… Der Satz gilt auch für das tägliche Miteinander.“
Dabei komme Religion eine wichtige Bedeutung zu: „Viele Menschen besinnen sich auf die Religionen und ihre Werte, weil sie Orientierung und Halt geben in einer Welt immer schnellerer Umbrüche. Je wichtiger aber Religion für den Einzelnen und für uns als Gesellschaft wird, desto wichtiger wird auch, dass die Religionen sinnhafte Antworten auf die Anforderungen der Moderne an den Menschen geben.“ Gleichzeitig könne „religiöse Heterogenität“ aber auch „zur Herausforderung werden für den gesellschaftlichen Zusammenhalt“. Es sei deshalb „wegweisend für ein gutes Miteinander, wenn Gläubige und Gelehrte verschiedener Religionen der Frage nach dem richtigen Verstehen gemeinsam nachgehen.“ Der deutsche Staat sehe in den Religionen „nicht zuerst eine potentielle Gefahr für das Miteinander, sondern eine Quelle von Orientierung und Gemeinschaftlichkeit“. Insbesondere habe der Staat ein grundlegendes Interesse am interreligiösen Dialog, denn dieser ermögliche eine „Anerkennung religiöser Vielfalt“, „die über das Tolerieren anderer Glaubensgemeinschaften hinausreicht“. Und das „bessere Verstehen und Verständnis zwischen den Religionen“ diene „einem guten Miteinander und Zusammenleben“. „Deshalb“, so Schäuble damals auf der Tagung des seit 2003 durch das Bundesinnenministerium geförderten Netzwerks des Theologischen Forums Christentum – Islam, „fördert der Staat auch den Dialog der Religionen.“
Am 28. September 2006 formulierte der damalige Innenminister Schäuble in seiner Regierungserklärung: „Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft.“
Wolfgang Schäuble hat nicht nur programmatisch herausgestellt, wie wichtig Offenheit und Verständigung zwischen den Religionen und Kulturen ist. Er hat diese auch strukturbildend und nachhaltig vorangebracht.
So rief er im September 2006 die Deutsche Islam Konferenz (DIK) ins Leben und legte damit einen wichtigen „Grundstein für einen langfristigen und umfassenden gesamtstaatlichen Dialog mit den in Deutschland lebenden Muslimen und ihren Vertretungen und Institutionen“. Die Intention des Dialogs im Rahmen der DIK sei, so Schäuble, „dass Muslime verstehen, dass sie in unserem Land willkommen sind“. „Im Vorfeld“, so Schäuble bei der 4. Plenarsitzung der DIK 2009, „gab es viele, die meinten: das wird doch nichts… Ich habe damals gesagt: gerade deshalb müssen wir es machen.“
Bei der Forumstagung 2009 sprach sich Wolfgang Schäuble auch für die Gründung von Instituten Islamischer Theologie an deutschen Hochschulen aus – „Schäuble sagt Fakultät für islamische Theologie zu“ titelte am 9. März 2009 die Stuttgarter Zeitung. Der interreligiöse Dialog und auch der islamisch-theologische Wissenschaftsdiskurs steht heute mit den inzwischen gegründeten islamischen Instituten auf einer neuen Ebene, mit vielfältigen Ausstrahlungen in Handlungsfelder wie Pädagogik, Seelsorge oder Sozialer Arbeit.
In seiner langjährigen politischen Laufbahn hat Schäuble auch entscheidend zur Gestaltung eines friedvollen, respektvollen und anerkennenden Miteinanders in unserer vielfältigen Gesellschaft beigetragen.Sein Wirken inspiriert, auf dem Weg vernunftorientierter Verständigung und dem religionsübergreifenden Angehen gemeinsamer Herausforderungen voranzuschreiten.