Mira Sievers setzt sich kritisch mit der Vorstellung einer gottgewollten hierarchischen Geschlechterordnung im Islam auseinander. Sie analysiert zunächst am Beispiel der Sorgerechtsdiskussion bei dem klassischen islamischen Rechtsgelehrten as-Saraḫsī, wie dieser eine Geschlechterordnung konstruiert, die auf komplementären Zuschreibungen von Eigenschaften an Männer und Frauen basiert und in eine Unterordnung von Frauen mündet. Anschließend kontrastiert sie diese Ungleichheiten mit dem im Koran entfalteten Konzept der göttlichen Gerechtigkeit (‚adl). Anhand einer chronologischen Lektüre des Koran arbeitet sie heraus, dass ‚adl ursprünglich Gottes harmonisches Schöpfungshandeln meint und dann im Sinne einer unparteiischen Gerechtigkeit auf menschliche Handlungen bezogen wird. Die bei as-Saraḫsī vorausgesetzte Geschlechterordnung lasse sich nicht „widerspruchsfrei mit dem im Koran entfalteten Konzept von Gerechtigkeit in Einklang bringen“, da hier „Gleiches ungleich behandelt“ werde. Ihre Schlussfolgerung ist, dass die Gerechtigkeit als fundamentales Prinzip verstanden werden sollte, welches der Auslegung der islamischen Quelltexte zugrunde liegen und die Ableitung konkreter Glaubensinhalte und Normen leiten sollte. Die göttliche Gerechtigkeit habe somit eine hermeneutische Priorität.
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