Nimet Seker setzt sich mit der Frage auseinander, wie sich das im Koran verkündete Prinzip der Geschlechtergerechtigkeit mit der androzentrischen Struktur der koranischen Rede vereinbaren lässt.
Sie arbeitet heraus, dass der Korantext zum größten Teil in der Form einer Anrede gestaltet sei, bei der ein göttlicher Sprecher sich an ein männliches Publikum wendet. Insbesondere wenn es um Regelungen zum Verhältnis der Geschlechter geht, spreche der Koran die Männer direkt an und verhandle mit ihnen über den Status der Frauen. Die Frauen selbst würden nicht unmittelbar adressiert, auch nicht in Belangen, die sie direkt betreffen.
Seker zeigt anhand von Beispielversen auf, dass sogar Passagen, die von feministischen Koranexegetinnen zur Untermauerung der Geschlechtergerechtigkeit herangezogen werden, bei genauer sprachlicher Analyse eine androzentrische Struktur aufweisen. So werden etwa in Sure 30, Vers 21 die Männer direkt angesprochen („Und zu seinen Zeichen gehört, dass er euch Gattinnen aus euch selbst schuf“), während die Frauen nur indirekt im Verhältnis zu den Männern erwähnt werden.
Dies wirft für Seker grundsätzliche hermeneutische Fragen auf: Wie lässt sich die androzentrische Rede mit der von feministischen Exegetinnen vertretenen Prämisse einer geschlechtergerechten Sprache des Korantexts vereinbaren?
Seker plädiert für eine differenziertere Hermeneutik, die den Koran nicht als abstrakten Text, sondern als eine Abfolge situierter mündlicher Redeakte liest. Nur wenn die historische Gebundenheit und dialogische Struktur der Offenbarungssituation berücksichtigt wird, lassen sich die Spannungen zwischen androzentrischer Rede und Geschlechtergerechtigkeit angemessen einordnen. Anstatt absolute Prinzipien aus dem Text herauszuarbeiten, müsse der Koran zunächst deskriptiv-exegetisch analysiert werden.