Drei Theologie-Studentinnen wurden für ihre Beiträge zu aktuellen Fragen der christlich-islamischen Beziehungen beim Wettbewerb der Georges-Anawati-Stiftung ausgezeichnet.
„Der Dialog ist notwendig, wenn wir ein friedliches Leben in der Gesellschaft haben wollen“ – so eine Leitthese des Festvortrags von Peter Antes bei der Preisverleihung zum Essay-Wettbewerb der Georges-Anawati-Stiftung. „Die gemeinsame Aktion muss in den Vordergrund rücken“, empfahl der emeritierte Professor für Religionswissenschaften an der Leibniz Universität Hannover. Dann bilde der Dialog „ein wichtiges Element für das Zusammenleben, und vor allem das friedliche Zusammenleben zwischen den Menschen: „Und je besser und tiefer er geführt wird, auch gerade durch Repräsentanten der Religionen, desto deutlicher wird, dass man sich auch und gerade bei unversöhnlichen Vorstellungen vertrauensvoll über das Prozedere unterhalten kann.“
Der Festvortrag zu Aufgaben und Zielen des Dialogs eröffnete die Online-Abendveranstaltung, in deren Rahmen drei herausragende Beiträge zu aktuellen Fragen der christlich-islamischen Beziehungen ausgezeichnet wurden. Die drei Preisträgerinnen verfassten ihre prämierten Essays im Rahmen der Studienwoche zu „Christlich-islamischen Beziehungen im europäischen Kontext“ 2020, welche die Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart zusammen mit der Eugen-Biser-Stiftung organisiert. Die Preisverleihung fand sonst traditionell im Rahmen der Jahrestagungen des „Theologischen Forums Christentum-Islam“ statt und verband so das Forumsnetzwerk und die Studienwoche als Format für NachwuchswissenschaftlerInnen. Nachdem die große Forumstagung in der Akademie in diesem Jahr corona-bedingt nicht stattfinden konnte, bildete die Online-Veranstaltung am 7. Dezember 2021 einen festlichen Rahmen eigener Art. Mehr als 120 Interessierte nahmen daran teil.
Zielbestimmungen des interreligiösen Dialogs
Die Rede vom interreligiösen Dialog, so die eröffnende Feststellung von Peter Antes, sei recht neu in der Kirchengeschichte. Bedeutung erlangt habe dieser Begriff erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, insbesondere durch das Zweite Vatikanische Konzil. An diese Verwendung habe eine lebhafte, teilweise bis heute geführte Diskussion angeknüpft, die vor allem das Verhältnis von Dialog und Mission zu klären suchte. Den Dialog, so Antes, verkenne, wer ihn als die neue Form der Mission ansehe. Ein zweites Missverständnis werde erkennbar in der Absicht durch den interreligiösen Dialog eine gemeinsame Welteinheitsreligion schaffen zu wollen. Schließlich führe der interreligiöse Dialog auch nicht zu einer Relativierung der Grundaussagen einer Religion.
Im positiven Sinne bestimmte der Festredner interreligiösen Dialog als den Ort, an dem sich jede Religion mit ihren Ideen und Botschaften vorstellen und der anderen Partei zur Nachvollziehbarkeit anbieten darf. Dabei sei es möglich, dass neben den Unterschieden tiefgehende und nicht immer auf den ersten Blick erkennbare Gemeinsamkeiten deutlich werden. Für den Bereich der verschiedenen Ethosformen mache dies beispielsweise die „Erklärung zum Weltethos“ deutlich. Damit solche Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten wirklich hervortreten können, sei es wichtig, dass der anderen Religion die Möglichkeit gegeben wird, sich so dazustellen, wie sie sich selbst sieht und sie nicht allein aus der Fremdperspektive erfassen zu wollen. Zugleich betonte Antes die Verflechtungen der verschiedenen Religionen sowie die Möglichkeit, interreligiösen Dialog als etwas zu begreifen, wodurch die eigene Tradition im Spiegel des anderen neu entdeckt werden könne.
Eine besondere Aufgabe komme den interreligiösen Gesprächen zwischen Vertretern der Religionen zu. Denn solche Treffen könnten dem Missbrauch von Religion durch Instrumentalisierungen öffentlichkeitswirksam etwas entgegensetzen. Die Herausforderung bestehe allerdings darin, dass solche Friedensbemühungen der Religionen von der Öffentlichkeit zumeist zu wenig zur Kenntnis genommen würden.
Schließlich unterstrich Antes, dass den Religionen und auch dem Dialog zwischen ihnen im Rahmen der Integration eine wichtige Rolle zukomme. Doch solle man sich diese Aufgabe nicht einfach konfliktfrei denken. Denn es gehe dabei – wie in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft – um Aushandlungsprozesse, bei denen gestritten wird und dies auch getan werden darf. Solche Prozesse sollten als etwas Normales angesehen werden. Der interreligiöse Dialog könne in diesem Zusammenhang vermittelnd auftreten.
Antes schloss mit seinem Plädoyer für die Notwendigkeit des Dialogs. Sofern wir in einer friedlichen Gesellschaft leben möchten, sei solcher Dialog unumgänglich, obgleich damit selbstverständlich noch nicht alle Probleme gelöst seien. Sich über ein vertrauensvolles Prozedere im Umgang miteinander zu einigen, stelle aber bereits eine sehr wichtige Errungenschaft dar.
Die drei prämierten Essays
Aufgaben und Ziele des interreligiösen Dialogs in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen und zeitgeschichtlichen Verortung zu bedenken, ist auch eine Herausforderung, der sich die Teilnehmenden am Essaywettbewerb im Rahmen der Studienwoche 2020 stellten.
Laudator war Prof. Dr. Tobias Specker (Hochschule Sankt Georgen), der durch Dr. Ertuğrul Şahin (Universität Heidelberg) vorgestellt wurde, dem muslimischen Co-Leiter der Studienwoche.
„Kann es einen wirklichen Dialog über Religion geben? Oder sollte nicht besser das soziale Zusammenleben thematisiert werden?“ Diese Frage, so Specker zu Beginn seiner Laudatio, stelle sich, sobald das Interesse am ersten Kennenlernen verflogen ist. Ein wirklicher theologischer Dialog sei herausfordernd, da die Beteiligten für mögliche Transformationen offen sein müssten, was mehr bedeute als eine oberflächliche Begeisterung. Eng damit verbunden sei die Bereitschaft, Uneindeutigkeiten auszuhalten und von den anderen zu lernen, was verbindende Themen der drei prämierten Essays darstelle.
Religionen als Anwältinnen einer „Kultur der Ambiguität“
Emilia Beybutova studiert in Münster Islamische Theologie und Kommunikationswissenschaft und erhielt den dritten Preis des Essay-Wettbewerbs. In ihrem Essay „Die Rolle der Ambiguität im interreligiösen Dialog“ reflektiert sie ihre persönlichen Hintergründe ebenso wie eigene Erfahrungen im interreligiösen Gespräch. Dabei stellen sich für sie existenzielle Fragen wie beispielsweise, ob sie „als Muslimin ‚Amen‘ beim [gemeinsamen] Gebet sagen darf, weil im christlichen Verständnis die Rede von der Trinität Gottes ist.“ Diese anfragende und nachdenkende persönliche Herangehensweise hob der Laudator besonders hervor. Die sich an diese eigenen Erfahrungen anschließende Reflexion über Fremdheit und Ambiguität verkennt nicht deren bedrohliche Seiten, wonach „etwas Fremdes Angst, Aggression oder Flucht verursachen“ könne. Und auch Ambiguität könne verwirrend sein und der Wunsch nach Klarheit gut verständlich. Denn Ambiguität ernst zu nehmen, bedeute stets eine Differenzierung und ein Wahrnehmen der Vielschichtigkeit von Phänomenen. Hier zeigen sich für Beybutova aber auch die Chancen des Aushaltens der Ambiguität im interreligiösen Dialog. Ambiguität anzunehmen fördere die Toleranz, es helfe, eine „Schwarz-Weiß-Denkweise“ zu überwinden und ermögliche durch die Erweiterung des eigenen Horizonts ein „bessere[s] Verständnis der Phänomene aus unterschiedlichen Perspektiven“. Religionen, so Beybutovas abschließendes Plädoyer, müssten die Wahrnehmung von Ambiguität fördern und Anwältinnen einer „Kultur der Ambiguität“ werden bzw. bleiben.
Dialog benötigt keinen Augenkontakt
Henriette Jung betrachtete in ihrem mit dem zweiten Preis prämierten Essay „Digitaler Dialog. Muslimische und christliche Inhalte in sozialen Netzwerken“ ein dynamisches und stetig sich im Fluss befindliches Feld. Ihr Essay beginnt mit der folgenden pointierten Aussage: „Ein Raum des Dialogs muss kein physischer sein. Dialog benötigt keinen Augenkontakt. Die Teilnehmer können sich auf verschiedenen Kontinenten befinden, zeitverzögert in den Äther schreiben.“ Der Laudator wies darauf hin, dass der Essay an Ansätze des dialogischen Personalismus, wie sie sich beispielsweise bei Martin Buber finden, anknüpfe, dabei aber zugleich die Perspektive weite. Es gehe nicht mehr allein um die Gesprächssituation in einer analogen Zweier-Beziehung, sondern um fließende, parasoziale Konstellationen, insbesondere im digitalen Raum. Jung untersucht Phänomene auf verschiedenen sozialen Plattformen wie Instagram, YouTube etc. und konzentriert sich dabei auf Influencer, Sketche, Memes und Emojis. Ihr besonderes Verdienst sei, so Specker, dass sie den Zusammenhang zwischen Religion und Sozialen Medien nicht unter der sicherheitspolitischen Perspektive betrachte, sondern in seinem individuellen Ausdruck und mit besonderem Fokus auf den jeweils zum Ausdruck gebrachten Humor. Besonders aufschlussreich sind dabei die Beobachtungen, die Jung unter dem Stichwort „art imitates life“ zusammenfasst. Demnach würden sich bei den katholischen, evangelischen und muslimischen Angeboten Aspekte der Religionsgemeinschaften abbilden, wie sie sich auch in deren analogen Lebenskontexten finden lassen. Dies beziehe sich auf Dimensionen wie die Struktur der Angebote, die dort veröffentlichenden Personen, das Verhältnis zu den organisierten Religionsgemeinschaften, die Lebendigkeit der Debatten in den Kommentaren oder die Inhalte selbst. So hält die Autorin beispielsweise im Blick auf Kommentarspalten muslimischer Angebote fest: „Es wird kritisiert, angefeuert, es werden Antwortvideos gedreht, es brechen theologische Grundsatzdiskussionen aus, wenn jemand dem Gezeigten nicht zustimmt. Eine durchaus inspirierende Resonanz, gegen die das christliche Internet etwas müde wirkt.“
Das Wissen um die Defizienz jeder Rede von Gott
Mit dem ersten Preis des Essaywettbewerbs wurde Larissa Gniffke mit ihrem Essay „‘Ich weiß, dass ich nichts weiß‘. Epistemische Demut als Diskurstugend im christlich-islamischen Dialog“ ausgezeichnet. Dem Titel entsprechend geht sie in ihrem Essay von dem platonischen Sokrates aus und beobachtet bei ihm eine epistemische Überlegenheit, wenn er seine Gesprächspartner in die Enge treibt und dann sich selbst als Lösung präsentiert. Der zweite Gedankenstrang des Essays setzt ein mit der Unerkennbarkeit Gottes, die sowohl im Christentum als auch im Islam eine hohe Bedeutung habe. Zugleich könne man jedoch als gläubiger Mensch ebenso wie als Theologe nicht einfach beim Nichtreden stehenbleiben. In der Laudatio zitiert Specker das im Essay ebenfalls vorkommende Zitat Karl Barths, das diese Spannung auf den Punkt bringt: „Wir sollen als Theologen von Gott reden. Wir sind aber Menschen und können als solche nicht von Gott reden. Wir sollen beides, unser Sollen und unser Nicht-Können wissen und eben damit Gott die Ehre geben.“ Das Wissen um die Defizienz jeder Rede von Gott könne, so Gniffke, vor einer Überlegenheit bewahren und zeige, wie eng Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis zusammenhängen. Das Unvermögen selbst zum Thema zu machen und zu reflektieren könne dabei zentral werden im interreligiösen Dialog. Denn „die einzige Möglichkeit, mein Nicht-Wissen, das Scheitern einer Antwort auf das Angefragt-Sein, produktiv zu wenden, besteht darin, eine Diskursebene zurückzutreten und mein Nicht-Wissen, ebendieses Scheitern, zum Gegenstand des Dialogs zu machen und hier wieder eine gemeinsame Ebene zu finden vor dem Hintergrund der geteilten Erfahrung, dass auf der Grundlage der prinzipiellen Unmöglichkeit menschlicher Gotteserkenntnis in Christentum und Islam ein solches Scheitern auftritt.“ Von diesen Überlegungen gelangt Gniffke zu einer existenziellen Relecture des sokratischen Dialogs. Der sokratische Dialog sei dann zu verstehen als Aufklärung der Täuschung über sich selbst. Alkibiades fehle es nämlich nicht an gegenständlichem Wissen, sondern an Selbsterkenntnis. So bringt Gniffke auf den Punkt: „Interreligiöser Dialog, so er gelingt, fungiert wechselseitig wie der platonische Sokrates für Alkibiades im gleichnamigen Dialog […]: als ein Korrektiv, das uns erfahren lässt, dass und wo wir mit unserer Erkenntnis an Grenzen stoßen.“
An die Laudatio schloss ein Gespräch mit den Preisträgerinnen an, das von Stefan Zinsmeister (Eugen-Biser-Stiftung) geführt wurde und in die von Dr. Christian Ströbele (Fachbereich Interreligiöser Dialog an der Akademie) moderierte Diskussion mit dem Publikum überging.
Gniffke knüpfte dabei an Beybutovas Überlegungen an und erkannte in der Unerkennbarkeit Gottes, die nicht zu einem bloßen Schweigen führt, Strukturen der Ambiguität. Diese als etwas Positives anzunehmen, könnte ein Ziel des interreligiösen Dialogs darstellen. Beybutova interessierte dabei die praktische Umsetzung, wenn sie als eine offene Frage formulierte, was man tun müsse, um Menschen zu einer solchen Wahrnehmung und Wertschätzung der Ambiguität zu bringen. Gniffke plädierte dafür, dass die Kirchen sich mit digitalen Inhalten und Formen stärker auseinandersetzen sollten.
Möglichkeiten und Grenzen der Sprache
Die anschließende Diskussion gab Gelegenheit zur Klärung einiger Begriffe wie dem der „Relativierung“: Verstehe man diese als ein „In-Beziehung-Setzen“, sei dies vom interreligiösen Dialog, so unterstrich Antes, durchaus gewollt. Fragwürdig sei es aber, wenn es auf einen Verzicht auf Teile der eigenen Religion hinauslaufe. Weiterhin wurde das Feld der interreligiösen Dialoge als offen bestimmt, insofern es keineswegs nur eher akademische Diskussionen einschließt, sondern gerade auch das gemeinsame Tun, in dem das Kennenlernen und Vertiefen der Beziehung sehr dienlich bzw. notwendig sein kann.
Schließlich wurde die Bedeutung der Sprache betont, in der sich Religionen ausdrücken. Sowohl der Koran als auch die Bibel zeuge beispielsweise von einem reflektierten Bewusstsein für die Möglichkeiten und Grenzen der Sprache. Diesen Aspekt vertiefte auch Antes, indem er darauf hinwies, dass die traditionelle Art und Weise, in der religiöse Inhalte formuliert werden, teilweise nicht mehr verstanden werde. Schnell komme dann der Vorwurf auf, dass die Inhalte selbst verloren gegangen seien. Diese Spannung gelte es zu sehen und kreativ zu bearbeiten.
Der abschließende Appell von Antes an die Religionen, auch in ihrem Zusammenwirken eine positive Vision für die Zeit nach der Pandemie zu entwickeln, machte einmal mehr deutlich, dass interreligiöser Dialog immer auch gegenwärtige gesellschaftliche Fragen im Blick haben muss und zu diesen einen wichtigen Beitrag leisten kann.