„Das Verhältnis von Islam und Christentum wurde über Jahrhunderte von stark abgrenzenden, antithetischen oder gar dualistischen Modellen geprägt, die sich bis heute gesellschaftlich und politisch auswirken. Die Abgrenzung des Islam vom Christentum knüpft an koranische Aussagen an und zieht sich von dort bis in die Gegenwart durch. Christliche Abgrenzungen entspringen der theologischen und sozialen Auseinandersetzung mit einer konkurrierenden Religion, die im Spektrum der Religionen die größte Infragestellung des christlichen Offenbarungsanspruchs darstellt.“
Die Einführung von Hansjörg Schmid, Jutta Sperber und Duran Terzi in den Tagungsband Identität durch Differenz? Wechselseitige Abgrenzungen in Christentum und Islam analysiert das historisch durch Abgrenzung geprägte Verhältnis zwischen Islam und Christentum. Beide Religionen formulieren einen definitiven Letztgeltungsanspruch, der zu hierarchischen Distanzierungen gegenüber dem religiös Anderen führt. Diese Differenzbildung birgt das Risiko von Ausgrenzung und Diskriminierung. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts findet eine Neubestimmung des muslimisch-christlichen Verhältnisses statt, wobei die interreligiöse Begegnung zur Destabilisierung bisheriger Grenzziehungen bei gleichzeitiger Neukonstitution von Identitäten führt. Beispielhaft steht dafür die Erklärung Nostra Aetate des Zweiten Vatikanischen Konzils.
In der neueren Diskussion spielen die Begriffe „Identität“ und „Differenz“ eine zentrale Rolle. Aus systemtheoretischer Sicht ist Differenz zunächst keine Abwertung, sondern eine Notwendigkeit zur Systemerhaltung. Dabei ist entscheidend, dass äußere Abgrenzungen den inneren Zusammenhalt ermöglichen. Neben religiösen Faktoren spielen geschichtliche, soziale und politische Voraussetzungen eine wichtige Rolle bei Abgrenzungs- und Selbstidentifizierungsprozessen.
Differenz erscheint dementsprechend zwar konstitutiv für religiöse Identität, muss aber nicht zwangsläufig zu Ausgrenzung führen. Grenzziehungen können vielmehr als kontextabhängig und wandelbar verstanden werden, wobei ein dynamischer Umgang mit Grenzen ein „Lernen auf der Grenze“ ermöglicht. Grenzerhaltung und Systemerhaltung bedingen sich dabei gegenseitig. Der interreligiöse Dialog muss dabei sowohl das Eigene wahren als auch dem Fremden gerecht werden.
Der Beitrag umreißt auch die Gliederung des Gesamtbandes, beginnend mit der Untersuchung von Hermeneutik und Theologie der Abgrenzung, wobei das Verhältnis von Selbstbeschreibung und Außenwahrnehmung im Mittelpunkt steht. Ein zweiter Schwerpunkt ist die ambivalente Darstellung von Christen im Koran sowie biblische Abgrenzungsmotive. Als drittes folgt die Betrachtung der Kreuzzüge und ihrer Rezeption als historisches Beispiel für Konfrontationen und deren Nachwirkungen. Der vierte Teil beleuchtet fundamentalistische Abgrenzungsdiskurse und gegenwärtige theologisch begründete Abgrenzungsstrategien. Abschließend werden neue Perspektiven zur Überwindung traditioneller Abgrenzungsparadigmen aufgezeigt.