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Alles berechnet?

Wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sowohl die christliche als auch die islamische Theologie herausfordern, damit hat sich die Jahrestagung des interreligiösen Forums beschäftigt.

Von Lisa Baumeister, Freiburg*   

Beim Sprechen über Künstliche Intelligenz ist häufig die Assoziation zu anthropomorphen Robotern nicht weit, die durch technologischen Fortschritt mit der Zeit ihrem menschlichen Schöpfer entgleiten und sich schließlich gegen diesen stellen. Diese Vorstellung – Grundlage zahlreicher Science-Fiction-Filme und -Literatur – bedient sich an Ideen des technologischen Posthumanismus. Dabei handelt es sich um eine Technik-Utopie, die die Überwindung des Menschseins vorsieht. Der Mensch wird reduziert auf die Existenz als reine Informationsverarbeitungsmaschine, deren „Hardware“ austauschbar ist.

Oliver Krüger (Universität Fribourg) zitierte in seinem Vortrag Frank Tipler, der die Idee vertritt, dass Roboter als weniger fehleranfällige Maschinen die menschliche „Software“ kopieren und den Menschen evolutionär ablösen könnten. Das gesamte Universum könnte dadurch mit einer Art unsterblicher Intelligenz befüllt werden.[1]

Der technologische Posthumanismus ist vom Transhumanismus zu unterscheiden, der als Ziel die Optimierung des Menschen durch technischen Fortschritt verfolgt, z. B. in Form von Cyborgs, Kryonik oder Mind-Uploading[2].

Zwischen Realität, Vorstellung und Fiktion: Was kann KI?

Die Medienethikerin Claudia Paganini (Hochschule für Philosophie, München) betonte, solche Darstellungen in Science-Fiction-Werken hätten wenig Ähnlichkeiten mit derzeit tatsächlich existierenden Formen von Künstlicher Intelligenz. Bei dieser handelt es sich weniger um menschenähnliche Roboter als um Software-Programme wie beispielsweise Chat-GPT. Die Anthropomorphisierung bzw. „Verzauberung“ von KI und die gleichzeitige Rationalisierung des Menschen zur reinen Datenverarbeitungsmaschine nährten jedoch diese filmischen Vorstellungen.

Der Idee von Künstlicher Intelligenz als eines selbstständigen, menschlich denkenden Roboters, der potenziell die Welt übernehmen wird, setzte Oliver Krüger entgegen, dass die Computer entgegen weit verbreiteter Darstellung nicht nur selbsttätig lernen, sondern dass dazu auch noch unzählige „Klick-Worker“ – also leibhaftige Menschen – die KI-Programme und ihre Algorithmen trainieren müssen. Unangemessene und potenziell verstörende Inhalte werden unter ökonomischer Ausbeutung und ohne psychologische Betreuung dieser Menschen herausgefiltert. Die Verschleierung solcher  Prozesse und die damit einhergehende Mystifizierung von KI wird laut Krüger nicht nur eingesetzt, um diese ökonomischen Verhältnisse zu verdecken, sondern auch, um die eigene wissenschaftliche Leistung zu glorifizieren.

Die Fortschritte in der KI-Forschung führen zu neuen ethischen Diskussionen. Die Arbeitsbedingungen in neu entstehenden Berufsfeldern sind nur ein Beispiel, ebenso wie die Fragen zu Schuld und Verantwortung, bei z. B. Fehldiagnosen oder bei Unfällen durch die Nutzung von KI.

Ethische Perspektiven auf KI aus Sicht von Islam und Christentum

Mira Sievers, Professorin für Islamische Glaubensgrundlagen, Philosophie und Ethik an der Humboldt-Universität Berlin, erklärt, dass ethische Reflexionen über Digitalität und KI in der Islamischen Theologie häufig mittels  ašʿaritischen Schaden-Nutzen-Abwägungen getätigt werden, da islamische Quellen diese Themen nicht direkt adressieren.

Ein wichtiger Vertreter dieser konsequentialistischen ethischen Theorie ist Faḫr ad-dīn ar-Rāzī (gest. 1210). Laut ihm sollen Erkenntnisse über neue Fragestellungen, zu denen die Offenbarung nicht direkt Auskunft gibt, durch eine Verhältnisbestimmung von Nutzen und Schaden gewonnen werden. Dieses Vorgehen sieht sich wegen einer Tendenz zum strikten Utilitarismus kritisiert. Die Frage nach den Kriterien und der Gewichtung von Faktoren könnte laut Sievers mehr individuelle Aspekte berücksichtigen, um situationsbezogenere Urteile zu ermöglichen.

Sievers schlägt vor, sich in der ethischen Reflexion die dem Islam eigenen Werte in Erinnerung zu rufen und miteinander in ein Verhältnis zu setzen. In Bezug auf KI-Programme kann das beispielsweise folgendermaßen aussehen: Die Verwendung von personenbezogenen Daten kann ihrer Weiterentwicklung dienen, schadet aber auch der Privatsphäre der Nutzer:innen. In der islamischen Tradition wird der Wert der Privatsphäre häufig betont und muss deswegen in besonderer Weise in die Abwägung von Schaden und Nutzen einfließen.

Einen anderen Ansatz für den grundsätzlichen Umgang mit neuen Formen von Digitalität und Künstlicher Intelligenz wählt der evangelische Theologe Hendrik Klinge (Christian-Albrechts-Universität Kiel), indem er an folgende Grundregel Immanuel Kants erinnert. Der Mensch ist niemals bloß als Mittel, sondern immer als Zweck zu betrachten. Für die KI jedoch dreht Klinge den Satz von einem Verbot zu einem Gebot der Instrumentalisierung um: Technik dürfe stets nur als Mittel und niemals als Zweck angesehen werden.

Zwischen Vulnerabilität und Optimierungszwang

Doch woher rührt eigentlich der Wunsch, den Menschen durch immer weitere technische Möglichkeiten stetig optimieren, updaten und erweitern zu wollen? Klinge sieht den Ursprung dafür  in der menschlichen Erfahrung der Endlichkeit.

Der Mensch erlebe diese als Begrenzung bzw. Mangel, den es durch das Streben nach Unsterblichkeit zu überwinden gelte. Dieser Wunsch stehe allerdings dem göttlichen Schöpfungswillen entgegen, da Gott sich in der Menschwerdung gerade zum Menschen in dessen endlichen Geschöpflichkeit bekenne.

Klinge versteht die Inkarnation weiter als eine theologische Kritik an der Übermenschlichkeit und betrachtet die christologischen Vorstellungen als unvereinbar mit denen des technologischen Posthumanismus.

Die Freiburger Bildungsreferentin für Inklusion und Seelsorge, Hanna Braun, sieht gerade in der Vulnerabilität des Menschen einen Ansatzpunkt der Gottesebenbildlichkeit (Gen 1,27). Gott habe sich im Entschluss zur Schöpfung aus freien Stücken vulnerabel und beeinflussbar gemacht, um in Beziehung zu treten. In der Menschwerdung als schwaches Kind in einer Krippe und im Tod am Kreuz teile Gott die menschliche Erfahrung von Vulnerabilität. Diese sei ambivalent, weil sie nicht nur Verletzung, sondern auch Beziehungsfähigkeit bedeutet.

Die Anerkennung von menschlicher Begrenzung und Vulnerabilität sieht Braun als Chance, durch die der Drang nach stetiger Optimierung des Menschen überflüssig wird und das Genug-Sein des Ist-Zustandes anerkannt werden kann.

In der anschließenden Diskussion wurde das Konzept der Vulnerabilität Gottes von islamischer Seite allerdings aufgrund des Glaubens an die Majestät und Erhabenheit des unbeeinflussbaren souveränen Gottes eher kritisch betrachtet. Das Angenommensein des fehlerhaften Menschen durch Gott ist laut der Systematischen Theologin Muna Tatari allerdings auch im Islam ein zentrales Element. Das zeige sich beispielsweise darin, dass die größte thematische Gruppe der 99 Namen Gottes dessen Barmherzigkeit gegenüber dem fehlbaren, erlösungsbedürftigen Menschen zum Ausdruck bringe.

Potenziale digitaler Welten

Zum Schluss der Tagung wurde außerdem über das Potenzial, aber auch die Herausforderungen der neuen digitalen Möglichkeiten diskutiert. Auf der einen Seite wurde die Gefahr von selbsternannten „TikTok-Prediger:innen“ beider Religionen thematisiert, die ohne theologische Ausbildung einseitige Aussagen über das „richtige“ ethische und spirituelle Verhalten tätigen. Insbesondere die Wirkung der Algorithmen birgt dabei die Gefahr, dass diese „Wahrheit“ unangefochten fortwährend bestätigt wird.

Die Frankfurter Professorin für Praktische Theologie, Christine Hoffmann, machte auf ein anderes Phänomen in den Sozialen Medien aufmerksam. Dabei handelt es sich um Pfarrer:innen, die eine Plattform für Seelsorge anbieten. Seelsorge als gewissermaßen älteste Form kirchlicher Dienstleistung erlebt im digitalen Raum einen enormen Wandel: Sie findet in einem viel größeren öffentlichen Raum statt, in dem nicht nur die Pfarrperson selbst ihre eigenen Erfahrungen sehr viel stärker in die Diskussion einbringt (durch thematische Vorgabe des Beitrags und Schilderung ihrer persönlichen Betroffenheit damit), sondern auch Community-Mitglieder in den Kommentaren, durch Teilnahme am Austausch, die Rolle des/der Seelsorger:in übernehmen. Digitale Seelsorge ist laut Hoffmann ein Beispiel für barrierearmen Zugang zu Kirchen und zu deren transformativem Potenzial.

Die vielfältigen Beiträge und Diskussionen der Tagung haben gezeigt, dass die neuen Erkenntnisse im Feld der Digitalität und der Künstlichen Intelligenz mitunter Neubewertungen im Bereich der Anthropologie, der Ethik und Pastoral vonnöten machen. Anstatt eine grundsätzliche Diskussion zu führen über KI als Heil oder Untergang des Menschen – unter der Voraussetzung falscher Annahmen über die tatsächlichen Fähigkeiten aktueller KI – , ist es notwendig, die Möglichkeiten, aber auch die Grenzen von Künstlicher Intelligenz im jeweiligen Kontext ihrer potenziellen Einsatzfelder zu reflektieren.

[1] Vgl.: Frank Tipler: The Physics of Immortality (1995).

[2] Cyborgs: Wesen, die zu Teilen aus biologischem und technischem Material bestehen; Kryonik: Das Einfrieren und später Auftauen von Körpern; Mind-Uploading: Die Idee, das Gehirn auf ein externes Speichermedium übertragen zu können.

*) Tagungsbericht zuerst erschienen bei y-nachten.de

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