Ali Ghandour untersucht, ob muslimisch geprägte Gesellschaften eine „ars erotica“ gekannt haben. Er nimmt dabei Bezug auf Michel Foucaults Unterscheidung zwischen „ars erotica“ und „scientia sexualis“. Foucault beschreibe die „ars erotica“ als eine Kunst, bei der die Wahrheit über Sex aus der Lust selbst gezogen wird und als unmittelbare Erfahrung begriffen ist. Die „scientia sexualis“ basiere dagegen auf Geständnis, Beobachtung und Beweisführung. Foucault ordne die „ars erotica“ dem „Osten“ und die „scientia sexualis“ dem „Westen“ zu.
Ghandour vertritt eine mittlere Position zwischen Foucault und dessen Kritikern. Einerseits wird Foucault darin zugestimmt, dass er mit seiner Diagnose eines Vorhandenseins einer „ars erotica“ in muslimisch geprägten Gesellschaften im Kern recht habe. So wird angeführt, dass dort bis ins 19. Jahrhundert tatsächlich keine Kultur des Geständnisses existiert habe, sondern vielmehr Diskretion eine zentrale Rolle gespielt habe. Ebenso habe in diesen Gesellschaften die Maximierung der Lust im Zentrum des sexuellen Wissens gestanden. Andererseits wird Foucaults These relativiert, die „ars erotica“ betrachte die Lust gänzlich losgelöst von Normen des Erlaubten und Verbotenen. Vielmehr habe in muslimisch geprägten Gesellschaften parallel zur „ars erotica“ auch ein normativer Diskurs der Rechtsgelehrten bestanden, der Sexualität reguliert habe. Insgesamt wird in dem Aufsatz die Auffassung vertreten, dass Foucault mit seiner Diagnose einer „ars erotica“ in den Grundzügen zutreffend liege, dieser Befund aber durch den Blick auf die normierenden Tendenzen muslimischer Rechtsgelehrter etwas relativiert werden müsse.